Nein, nicht in Japan.
Die Gegend nennt sich Naturpark Thüringer Schiefergebirge / Obere Saale oder auch Thüringer Meer, – dies wegen der großen Stauseen, die hier die Saale kaskadenartig stauen.
Einer von ihnen heißt Hohenwarte-Stausee und staut seit 1941 die Saale zur Energiegewinnung von Ziegenbrück bis Hohenwarte.
Die vielen Verzweigungen und beeindruckenden Steilhänge des überfluteten Talabschnitts ergeben eine fjordähnliche Seenlandschaft, die ein beliebtes Naherholungsgebiet ist und zu DDR-Zeiten eine Urlaubsregion im eigenen Staatsgebiet war.
Um diesen See schlängelt sich auf ca. 75 km mit für mittelerdige Verhältnisse beachtlichen Steigungen der Hohenwarte-Stausee-Weg. Diesen möchte ich gern mal erwandern. Er ist mit rotem Punkt auf weißem Grund bestens markiert.
Von Kassel ist Hohenwarte mit Regionalbahnen und Bus in etwas mehr als vier Stunden gut zu erreichen.
Tag 1, Donnerstag, 25.4.:
Um 9:30 Uhr beginnt mein Wandertag gleich mit einer kräftigen Steigung. Davon wird es insgesamt vier an diesem Tag geben, inklusive der dazugehörigen Abstiege, – neben dem normalen permanenten Auf- und Ab.
Niedertemperaturwetter im April begleitet mich an dem Tag mit entsprechenden Wolkendrohungen und Hagelschauern.
Erbsengroße Hagelkörner bleiben wegen der niedrigen Temperatur (ca. 4°) auf dem Weg liegen.
Vom Mooshäuschen, einer zugigen Schutzhütte habe ich mal ein guten Blick in die überfluteten Seitentäler des Stausees. Die Assoziation ‚Fjord‘ wird wohl daher kommen.
Stets wenn ich mich nach einem Abstieg der Uferregion nähere, stoße ich auf große offizielle ‚Campingplätze‘. Meist sind die Wohnwagenstellplätze schon zu ziemlich massiven WochenendhausImmobilien mutiert.
Vom Bockfelsen habe ich einen guten Blick auf Stausee und den gegenüberliegenden Campingplatz Hopfenmühle.
Etwas kurios und fragwürdig (=einer Frage würdig) finde ich Ansammlungen von Wochenendhäusern, die nirgends auf der Karte verzeichnet sind. Verantwortlich zeichnet sich dann z.B. ein ‚Verein für Erholung und Naturschutz e.V.‘ oder ein ‚Freizeitverein Greeze e.V.‘.
Der Schlussanstieg für heute führt über die Teufelskanzel, einem tollen Aussichtspunkt auf eine der vielen Saaleschleifen …
… hin zur Kurt-Ruhl-Hütte, die ebenso aussichtsreich über der Saale thront. Der ‚Internationale Bergwanderweg der Freundschaft Eisenach-Budapest‚, ein Überbleibsel aus DDR-Zeiten, und der Europäische Fernwanderweg E3 führen auch hier entlang.
Mit der Hüttenmaus auf Futtersuche, die dabei völlig vertrauensselig über meine Schlappen läuft und mich kitzelt, vertilge ich mein Abendessen und bereite mich auf ein kühles Nachtlager (2°) vor.
Tag 1: 32,9 km – /1175 Hm – \980 Hm
Tag 2, Freitag, 26.4.:
Im Zelt und Schlafsack ist es in der Nacht warm. Doch am Morgen ist es ziemlich kühl, so dass ich zunächst all meine Sachen anziehe, um nicht zu frieren. Das Frühstück wird auf später verschoben. Erstmal warmlaufen.
Bis auf den Stumpf, um die Wegmarkierung zu erhalten, ist hier eine Fichtenzucht dem Borkenkäfer und anschließend der Motorsäge zum Opfer gefallen.
Auf die berühmte Thüringer Gastlichkeit, die in einem Prospekt über diesen Weg angepriesen wird …
„Als Natur- und Wanderfreund
Digitale Bibliothek Thüringen: Infobroschüre zum Hohenwarte-Stausee-Weg
sind Sie … ein gern gesehener Gast
und können sich so von der berühmten Thüringer Gastlichkeit überzeugen.“
… stoße ich am frühen Morgen in der Bäckerei Hudeczek in Ziegenbrück. Auf meine Nachfrage, ob ich einen Kaffee bekommen kann, bekomme ich die Antwort, dass dies eine Bäckerei sei und die anderen (,die nach mir gekommen sind), die auf Arbeit müssen, zuerst bedient werden. Erst dann gebe es einen Kaffee für mich. Einleuchtende Regel, der ich mich gern anpasse. Thüringer Gastlichkeit eben.
Nach gut einer Stunde finde ich einen Frühstücksplatz in der Sonne mit prima Aussicht. Hier habe ich Muße, mich nochmal an die berühmte Thüringer Gastlichkeit zu erinnern.
Immer häufiger laufe ich an diesem zweiten Tag durch Fichtenzuchtreviere, deren Bestände durch Trockenheit und Borkenkäferbefall vernichtet sind. Aufgeräumt wird durch die Harvester einer österreichischen Fachfirma für Waldarbeiten im Steilgelände.
„Diese Spargelfichten hauen wir auch noch um“, sagen sich die Borkenkäfer.
Wegsperre durch Fichtenstämme. Es geht nur balancierend drüber. Die Wandersaison scheint noch nicht so richtig begonnen zu haben.
Ein Blick von der Hohen Leite auf den Stausee, der hier eher wie der Flusslauf der Saale wirkt. Trotzdem oder genau deswegen schön.
Einige hundert Meter davor treffe ich auf diesen Text, der auf einem halboffiziellen Anschlagbrett prangt. Ungeachtet des aus meiner Sicht sehr zweifelhaften Inhaltes macht der/die Verfasser/in genau die Fehler, die er/sie anprangert: Behauptungen ohne Beispiele und Quellenangaben, keine Angabe des Namens des/der Verfasser/in, keine Zeitangabe, wann der Text verfasst wurde. Es macht mich traurig bis zornig.
Immer wieder komme ich an den kuriosesten Stellen, sei es mitten im Wald auf einer Lichtung oder auf einer Anhöhe über dem Stausee, an sogenannten Datschen vorbei. Ich bin hin- und hergerissen zwischen freigeistiger Romantik, Bebraismus und Zersiedelung von Naturräumen.
Am Campingplatz Hopfenmühle heißt die Anmeldung noch ‚Zeltplatzwart‘, – obwohl weit und breit kein Zelt zu sehen ist.
Die Datschenpromenade geht weiter …
… bis ich das Gasthaus Lothramühle erreiche. Eigentlich habe ich mich auf ein Plätzchen für mein Zelt und ein kühles Bier gefreut …
Nach einem Telefonat mit der Wirtin löst sich alles in Wohlgefallen auf. Ich bekomme einen Zeltplatz, ein Bier und sogar noch ein Abendessen angeboten, das ich gemeinsam mit vier österreichischen Waldarbeitern, die hier gastieren, bekomme. Danke für die Gastfreundschaft.
Tag 2: 28,3 km – /900 Hm – \1050 Hm
Tag 3, Samstag, 27.4.:
Um 7 Uhr geht’s weiter. Das Wetter wird sonniger und wärmer.
Die letzten Kilometer bis Hohenwarte führen mich an einem Riesenstück Mauer vorbei, das mich an eine andere Mauer deutscher Geschichte erinnert. Diesmal jedoch ist es lediglich die Einfassung des Oberbeckens für das Pumpspeicherwerk von Hohenwarte.
Schon vor dem Kraftwerk führt der Weg über die Höhe durch Dörfer, was für mich weniger interessant ist. Daher suche ich einen anderen Weg hinab nach Hohenwarte und finde einen wunderschönen schmalen Pfad kurz nach der Hohenwarte-Schutzhütte, der an der Fußgängerbrücke über die Saale wieder auf den Hauptweg führt.
Eine gute Variante für den etwas tristen Abschluss des eigentlich schönen Weges rund um den Hohenwarte-Stausee.
Nach Kassel bringen mich Bus und Bahn in gleicher Zuverlässigkeit und Zeit wie auf dem Hinweg.
Tag 3: 14,3 km – /430 Hm – \480 Hm
Fazit:
Wie bei der Beschreibung von Wanderwegen anscheinend heute üblich, wird auch hier der Weg etwas übertrieben geschönt dargestellt. Die Enttäuschung bei den Begehern des Wanderweges ist dadurch bereits vorbestimmt.
Fjordähnliches zu erkennen geht bei mir nur mit einiger zusätzlicher Fantasie. Aber ok.
Der Trend des allgemeinen Fichtensterbens geht auch am Hohenwarte-Stausee nicht vorbei. Entsprechend läuft man durch leergerodete Waldflächen, die sicherlich in den nächsten x-zig Jahren wieder aufgeforstet werden. Bis dahin braucht man etwas Geduld und Toleranz.
Toleranz und geschichtliche Einfühlung brauche ich auch, wenn ich an die häufigen Datschensiedlungen entlang des Sees denke, die meist zu DDR-Zeiten entstanden sind. Obwohl hübsch hergerichtet, verringern sie die sowieso schon zu wenig vorhandenen naturbelassenen Räume unserer zersiedelten Landschaften.
Ob man unbedingt fünf! Tagesetappen, wie offiziell empfohlen, für die Umrundung des Stausees braucht, ist Einstellungssache und mag jeder für sich ermessen.
Die Abstiegsvariante von der Hohenwarte-Schutzhütte bis nach Hohenwarte habe ich mal im gpx-track eingebaut, der auf alpenvereinaktiv.com herunterladbar ist.
Auf jeden Fall ist der Hohenwarte-Stausee-Weg eine mehrtägige Wanderung wirklich wert.
Lieber Klaus, wieder ein sehr interessanter Bericht mit schönen Fotos. Liebe Grüße Heidi
Freut mich, Heidi. Danke.