Mercantour IV – Le Cœur

Tag 68 – Mittwoch, 4.9.: Rifugio Soria Ellena – Refuge Madone de Fenestre

Wir verlassen das Rifugio Soria Ellena so rechtzeitig, dass wir noch vor dem angekündigten Nachmittagsregen am Ziel ankommen können. Die Etappe ist kurz – so haben wir dennoch Zeit, uns umzuschauen.

Rückblickend dürfen wir ein wunderbares Lichtspiel wahrnehmen, in dem das Rifugio Soria Ellena nur noch schwach wahrzunehmen ist.

Eine natürliche Steinzeichnung, vor über 25 Millionen Jahren durch eine Geoinstallation von Alpina Orogenesa mit gewaltiger Energie hergestellt, beeindruckt mich sehr.

Zum ersten Mal auf unserer gesamten Tour kommen wir  Gämsen so nah, dass ich sie im Lichtbild ‚festhalten‘ kann. Lady C. benennt diesen Tag als ‚Tag der Gämsen‘.

Zarte, scheue Geschöpfe, die mit Zähigkeit meist durch die kalten Winter kommen. Die, die nicht durchkommen, werden zu Winterfutter für Adler, Geier, Fuchs und Dohle.

Nach fast 700 Hm Aufstieg wartet der Col de Fenestre (2463 Hm) auf uns.

Neben der italienisch-französischen Militärgeschichte im 2. Weltkrieg hat dieser Pass auch eine Migrationsgeschichte. Juden flüchteten ab 1943 vor der deutschen Besatzung in Frankreich auch über den Col de Fenestra nach Italien. Einige konnten bei italienischen Widerstandskämpfern unterkommen und überlebten. Andere wurden von regierungstreuen Italienern an Deutschland ausgeliefert. Meist wurden diese Geflüchteten in den von deutschen Nationalsozialisten eingerichteten Konzentrationslagern ermordet. 

Hier am Col verlassen wir Italien und den Parco Naturale Alpi Marittimi. Wir sind wieder in Frankreich und im Nationalpark Mercantour.

Die Namen haben sich geändert, Landschaft …

… und natürliche Steinzeichnungen bleiben ähnlich.

Auch die Gämsen unterscheiden sich nicht gravierend.

Staaten und Namen sind vergänglich. Natur bleibt.

Das Refuge Madone de Fenestre erreichen wir bereits um halb eins. Kurz danach beginnt es leicht zu regnen. Mal wieder Glück gehabt und trocken angekommen.

Wir bereiten unser Mittagessen aus unseren Vorräten zu, um diese zu verbrauchen. Sie waren für Zelt- und Bivacco-Übernachtungen gedacht. Es wird in den nächsten Tagen feucht und kühl bleiben, so dass wir Hüttenübernachtungen mit Essens- und Wärmeversorgung bevorzugen und diese Vorräte nun anderweitig verwenden können. 

Ein wirklich auffälliger Unterschied zwischen Frankreich und Italien in dieser Region ist, dass es hier in Frankreich viel mehr Wandernde mit großem Gepäck für Mehrtagestouren gibt. Den ganzen Nachmittag trudeln Wandernde im Refuge ein, um hier zu übernachten.

Ein gemütlicher, trockener Hüttennachmittag und -abend stehen uns bevor.

Am Abend sind wir ca. 30 Übernachtende, obwohl das Refuge derzeit keinen Anschluss zum Tal hat, da der Zuweg vor längerer Zeit durch einen Starkregen weggespült wurde.

Tag 68 – 7,2 km – / 692 Hm – \  584 Hm


Tag 69 – Donnerstag, 5.9.: Refuge Madone de Fenestre – Refuge de Nice

In der Nacht hat es mal wieder ohne Ende geregnet und gewittert. Am Morgen beruhigt sich die Wettersituation soweit, dass nur noch kleine Regenschauer angesagt sind.

In einer Regenlücke starten wir um 8 Uhr unseren Aufstieg zum Pas du Mont Colomb (2550 Hm). Kurz vor dem Pass klart es mal auf für ein Foto.

Ansonsten gibt es nur wenige Bilder von dieser Etappe.

Beim Abstieg gelingt mir noch ein elegantes Bild.

Die weißen Punkte sind Säcke mit Steinen, die ein Helikopter hierher transportiert hat. Mitarbeiter des Nationalparkes bessern damit die meist sehr rauen Wege aus.

Es gibt noch ein Erlebnis, das festgehalten werden will: Heute laufen wir mit Noël, einem Franzosen in ähnlichem Alter. Kurz vor Ende des Abstiegs rutscht er dermaßen aus, dass er einen Abroller über mehrere Meter hinlegt und mit dem Gesicht nach unten liegen bleibt. Nach einer ersten Schrecksekunde gehe ich hinunter zu dem Gestürzten, spreche ihn an und stelle fest, dass er wach und anscheinend nicht arg verletzt ist. Lady C. bringt den Biwaksack, um Noël für eine Zeitlang warm zu halten. Ein anderer Wanderer steuert etwas fruchtig-zuckriges zum Essen dazu. Nach zehn Minuten kann Noël wieder aufstehen und etwas angeschlagen und verlangsamt weitergehen. 

Endlich erreichen wir gemeinsam mit Noël das Refuge de Nice. 

Im weiteren Verlauf des Tages und Abends verdickt sich Noëls rechtes Knie, so dass er morgen nicht weiter laufen kann, sondern ins Tal absteigen wird, um anschließend mit dem Bus nach Nizza zu fahren.

Für ihn und für uns war dies heute eine überraschende und lernreiche Etappe.

Tag 69 – 5,6 km – / 782 Hm – \ 482 Hm


Tag 70 – Freitag, 6.9.: Refuge de Nice – Refuge Merveilles

Das Wetter hat sich geändert. Heute ist es kühl und trocken, teilweise sonnig. Um so lieber gehen wir unsere heutige Etappe an.

Ab hier befinden wir uns im Kern des Kerns des Nationalparks Mercantour. Es gilt die zusätzliche Regel, dass Wanderstöcke mit Metallspitzen nicht benutzt werden dürfen. Wenn man Gummistopfen drüberstülpt sind sie erlaubt. Wir fixieren die Stöcke für die nächsten zwei Tage an unsere Rucksäcke.

Vom Refuge de Nice …

… geht es zunächst moderat auf eine wunderschöne Hochebene.

Mal wieder fällt mir eine Natursteinzeichnung auf.

Dann weiter steil aufwärts zum Baisse de Basto (2688 Hm). Hier treffen wir auf Steinbockmannsleute, die einfach unbeteiligt weiter in der Sonne dösen, während wir an ihnen vorbeilaufen.

Wir merken, dass wir die Gäste in ihrem Reich sind.

Am Lac du Basto verspeisen wir zu Mittag in der Sonne unsere letzten Nudelvorräte, gekocht natürlich.

Noch ein letzter Aufstieg zum Baisse de Valmasque (2544 Hm) und wir haben das Vallee des Merveilles (Tal der Wunder) vor uns.

Es ist wirklich ein wunderschönes Hochtal mit vielen Felsen, die von Gletschern glatt geschliffen wurden. Als Besonderheit finden wir hier nach einigem Suchen Felszeichnungen, die vor ca. 3800 und 5300 Jahren, in einer Warmperiode nach einer Eiszeit entstanden sind. 

Nicht ganz tief beeindruckt laufen wir weiter durch Gletscherschlifflandschaft bis zum Refuge Merveilles, das idyllisch am Lac Long Superior (2100 Hm) liegt. 

Wir treffen auf belgische Wanderer, die wir auch schon im Refuge de Nice begrüßt haben. Der GR52 ist ein in Europa bekannter Wanderweg durch das Mercantour- Gebirge.

Im August soll hier Hochbetrieb herrschen. Uns reicht es jetzt schon. Insgesamt trudeln bis zum Abend ca. 70 Wandernde ein. Gut, dass wir schon ausserhalb der Saison unterwegs sind. 

Tag 70 – 9,0 km – / 695 Hm – \ 768 Hm


Tag 71 – Samstag, 7.9.: Refuge Merveilles – Camp d’Argent

Der Tag fängt wie immer mit einem Sonnenaufgang an, nur diesmal konnte ich ihn fotografieren. 

Aufbruchstimmung am Refuge Merveilles. Noch ist es vor 8 Uhr.

Wir steigen an einer Seenlandschaft vorbei, die mich stark an einen Nationalpark in den spanischen Pyrenäen erinnert. Der Name wird noch nachgetragen.

Lady C. Ist schon seit gestern von den violetten Steinen angetan.

Ich begeistere mich immer noch für die einfach so herumliegenden natürlichen Steinmuster.

Am Pas du Diable (2435 Hm) können wir im Dunst zu erstenmal das Mittelmeer sehen. Leider ist der Moment im Bild nicht so fixierbar.

Die Landschaft ändert sich von steinigem Gebirge zu bergigem Grasland.

Eine in sich ruhende Gams schaut uns beim Abstieg zu. Meinen wir jedenfalls. Wahrscheinlich schaut sie nur entspannt in die Gegend.

Über Höhenzüge geht es gen Süden.

Nach 6,5 Stunden erreichen wir die Gite L’Estive (Sommerweide), ein schon etwas in die Jahre gekommenes Ausflugslokal mit einfacher Übernachtungsmöglicheit.

Zusammen mit Ute aus Süddeutschland, einem Schotten und einem Engländer verbringen wir in angenehmer Gesellschaft den Nachmittag und Abend.

Das Abendessen (Suppe und Lasagne) ist mit viel frischem Gemüse köstlich zubereitet, was uns nach Tagen guter, aber einfacher Hüttenkost besonders auffällt.

Gemeinsam diskutieren wir die Möglichkeiten für den für morgen angekündigten Regentag und beschließen, bereits um 7 Uhr zu starten, um so vor den Regengüssen herzulaufen. Mal sehen, ob’s klappt.

Tag 71 – 12,9 km – / 681 Hm – \ 1077 Hm

4 Kommentare

  1. 11. September 2024
    Antworten

    Ein tolles Finale!
    Ihr könnt das Meer bestimmt schon riechen.
    Super, dass alles so gut klappt. Alkes Gute für die letzten Kilometer.

    • 12. September 2024
      Antworten

      Danke, lieber Jörg. Ich komme erst jetzt dazu, auf die Kommentare zu reagieren. Sorry. Liebe Grüße, bereits aus Kassel.

  2. katrin
    11. September 2024
    Antworten

    Habe schöne Erinnerungen an das Vallée de Merveille. Vorallem an die vorherrschenden Gesteinsfarben Violett, Türkis und Ocker. Die Felsgravuren sind übrigens 4000 Jahre alt und stammen von Kelten, welche den Mont Bégot verehrten (ein eisenhaltiger Berg, in den die Blitze oft einschlugen). Es gibt Tausende dieser Gravuren, die von französischen ArchäologInnen erforscht werden.
    Herzliche Grüsse aus Zürich

    • 12. September 2024
      Antworten

      Salut Katrin, da warst du also auch schon. Danke für deine Ergänzungen. Ja, die Farben der Steine sind wirklich wunderbar. Und irgendwo habe ich auch gelesen, dass bisher über 1400 Felsgravuren entdeckt wurden. Die Forschung darüber stockt derzeit etwas, sowohl mangels Interesse als auch wegen Geldmangel (wahrscheinlich hängt beides miteinander zusammen). Liebe Grüße, bereits aus Kassel.

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