Tag 72 – Sonntag, 8.9.: Camp d’Argent – Sospel
Ab heute geht es (meist) abwärts in Richtung Mittelmeer – so wie bei Commander McLane in ‚Raumpatrouille Orion‘ bewegen wir uns im ‚Rücksturz zur Erde‘ auf die allzu menschliche Zuvielisation zu – nur eben zu Fuß.
Kaffee und Croissant geben uns um 6:30 Uhr das Startsignal für den Tag. Tief hängende Wolken verstärken die MorgendämmerungsStimmung.
Wir laufen durch ehemalige Weidelandschaft, die sich langsam wieder in nicht kultivierte Natur zurückverwandelt.
Noch sind wir im Nationalpark Mercantour.
Sommer und Herbst gehen ineinander über.
Ab 9 Uhr beginnt es zu regnen. Auf einer Höhe von ca. 1900 Hm ziehen wir unsere melancholische Bahn.
Ab Mittag wird der Regen stärker. Zum Glück ist die Temperatur moderat und der Wind mäßig. Auch (oder gerade) solch ein Wetter ergibt gute Landschaftsbilder.
Wir laufen still auf einem Höhenweg, stetig abwärts vor uns hin.
Der Rest des Tages geht in einem solchen Dauerregen unter, dass ich meine Kamera schone.
Wir sind durch und durch nass. Da hilft die beste Regenkleidung nicht mehr. Der Weg wird an manchen Passagen zur Schlitterbahn, die wir mit ein paar Ausrutschern überstehen. Im Wald angekommen wird der Weg wieder griffiger. Auf dem Pfad gesellt sich abfließendes Regenwasser als stärker werdendes Bächlein dazu. Ohne Regen kann man diesen langen Abstieg bestimmt anders genießen als wir es getan haben.
Letztendlich erreichen wir über kunstvoll in die Landschaft eingebettete Maultierpfade den schon sehr südfranzösisch anmutenden Ort Sospel auf 340 Hm …
… gerade rechtzeitig, um dem für den Nachmittag angekündigten Starkregen zu entgehen. Aber nasser als nass geht ja nicht.
Unsere Herberge in der Ortsmitte, die Hostellerie Pont Vieux, nimmt uns, zunächst wenig erfreut ob unserer Nässe, auf. Doch das legt sich bereits nach kurzer Zeit und die herzliche Chefin des Hauses besorgt uns noch Zeitungspapier, damit wir es in unsere gewässerten Schuhe stopfen können.
Wir werden all unsere Sachen nicht über Nacht trocken bekommen. Nach einer warmen Dusche und ein paar Überlegungen beschließen wir, hier einen Trocknungstag einzulegen und Sospel zu erkunden.
Übrigens waren wir in den letzten 16 Tagen nur von Refuge zu Rifugio zu Gite unterwegs – ohne jede Möglichkeit für unsere Rucksackverpflegung einzukaufen. Mit ein bisschen Phantasie und Organisationsgeschick war uns dies möglich.
Gemeinsam mit den beiden Briten genießen wir einen französischen Abend im wohnzimmerähnlichen Gastraum unserer Herberge …
… und freuen uns über ein Dach über den Kopf, welches uns Trockenheit in der Nacht gewährleistet.
Tag 72 – 20,6 km – / 773 Hm – \ 2168 Hm
Tag 73 – Montag, 9.9.: Trockendock in Sospel
Alles muss raus! Auf die Wäscheleine. Selbst das Rucksackinnere ist feucht. Ein Tag Trockendock in Sospel ist zwingend notwendig.
Der Ort sieht im Sonnenschein viel freundlicher aus als im Regen.
Ein Rundgang durch Sospel lässt bei mir zum erstenmal südfranzösische Stimmung aufkommen.
Ein mittäglicher Barbesuch tut sein übriges dazu.
Währenddessen trocknen unsere Sachen in unserer unscheinbaren Auberge so vor sich hin.
Tiefenentspannt bereiten wir unsere morgige letzte Etappe vor. Unsere Vorräte sind fast aufgebraucht. Das Bargeld wird knapp. Nur die Wasserflaschen sind voll, denn morgen gibt es auf der ganzen Strecke keine Möglichkeit, sie wieder aufzufüllen.
Tag 74 – Dienstag, 10.9.: Sospel – Menton
Abschied von unserem südfranzösischen Trockendock Sospel.
Mittelgebirgig gemäßigt geht es am frühen Morgen durch Wiesen und Wald zum Col du Razet (1030 Hm), wo wir heute zum erstenmal das Blau des Mittelmeeres zwischen Bäumen und Sträuchern erahnen können.
Den GR52 gibt es anscheinend schon ziemlich lange – solange zumindest, wie dieser Baum benötigt hat, die Beschilderung in seine Rinde zu integrieren.
Das sind unsere neuen Motivationskugeln am Wegesrand, mal reif, mal säuerlich, mal im Wachstum.
Sobald wir in der Sonne laufen, wird uns ziemlich warm.
Wir kommen an aktiven Bauernhöfen und Schäfereien vorbei. Auch hier brauchen die Bewohner mehrere Stunden, meist zu Fuß, um den nächstgelegenen Ort zu erreichen.
Nach dem zweiten und letzten Pass, dem Col de Berceau (1090 Hm) beginnt der letzte Rücksturz zur Erde. Wir sehen das Meer …
… und ich überlege mir, ob die Erde nicht vielleicht doch eine Scheibe ist – und uns alles Weltgeschehen nur zur permanenten Beunruhigung von einer großen Weltverschwörung vorgegaukelt wird. 😉
Wir kommen dem Menschen-Ameisenhaufen Menton immer näher.
Der 1000 Hm relativ steile Abstieg erweist sich als sehr ruppig und bedarf nochmal einiger Konzentration, um ihn ohne Dellen zu überstehen.
Wir materialisieren uns allmählich wieder in Vorbereitung auf das, was uns in Menton erwartet.
Erst um 17 Uhr erreichen wir den Strand von Menton. Ute, unsere temporäre Wandergefährtin, erwartet uns und hält uns davon ab, einfach weiterzulaufen.
Ein gemeinsames Begrüßungs- und Abschlussbier in der ‚AllStars‘-Strandbar rundet den Tag ab.
In Menton finden wir keine für uns erschwingliche Übernachtungsmöglichkeit. Daher fahren wir mit dem Zug nach Ventimiglia, dem Grenzort auf italienischer Seite. Hier fange ich noch die Abendstimmung am Strand ein.
Ein Tag (Eine Tour) geht zu Ende – und gleichzeitig steckt darin die Ankündigung des nächsten Tages (der nächsten Tour). Wir freuen uns jetzt schon drauf.
Tag 74 – 16,7 km – / 1273 Hm – \ 1610 Hm
ENDE
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