Tag 17 – Sonntag, 9. Juli:
Heute wollen wir uns etwas Entspannung gönnen, – meinen wir. So laufen wir von Roveredo zunächst 6,5 km im noch kühlen Tal an der Moësa entlang nach Lumino. Dort gibt es eine kleine, feine Seilbahn, die uns gute 1000 Hm erspart. Bei den Temperaturen von ca. 30° ist das eine echte Entlastung.
An der Capanna Brogoldone begrüßt uns ein Marrokkaner im Wüsten-Outfit und bietet gesüßten Pfefferminztee feil.
Er ist Mitglied des Hüttenteams, preist sich selbst (World Trail Runner), die Sahara, seine Eltern und seine Freunde so unangenehm aufdringlich an, dass wir beschließen, hier nicht zu übernachten und weiter zu ziehen.
Nochmal eine Sicht auf das ca. 1000 Hm tiefer liegende Bellinzona, der Kantonshauptstadt des Tessin. Dort flimmert derzeit die Hitze durch alle Straßen. Hier ist es kühler. Halblinks die gut gelegene Capanna Brogoldone.
Versehentlich besteigen wir einen Gipfel (2200 Hm) ohne Namen. Das schreit förmlich nach einem Gipfelfoto.
So entspannt sind wir dann doch nicht mehr, als wir um ca. 19:30 Uhr die unbemenschte Alp di Rossiglion erreichen und unser Zelt aufbauen. Es gibt ÄlplerMagronen mit Tomatensauce und Schafskäse. Müde fallen wir im Zelt auf unsere Matten.
Tag 17 – Roveredo – Alpe Rossiglion – 16,7 km – /1265 Hm – \604 Hm
Tag 18 – Montag, 10. Juli:
Um kurz nach fünf schaue ich aus dem Zelt und erlebe einen recht netten Sonnenaufgang.
Ich bleibe auf und bringe Lady C. Kaffee ans Zeltbett. Die Morgenstimmung ändert sich.
Ein Falter, hinter dem ich schon lange her war, macht ausgiebig Pause auf meiner Kamera.
Zufällig entdecken wir ein Relikt des Individualverkehrs. Ich fühle mich in die Zukunft versetzt.
Wir machen Rast an einer Ziegenalp.
Die Einzäunung ist nicht nur wegen der Ziegen hoch, vieradrig und hochvoltig. Die Sorge vor Wölfen, die nach Graubünden zurückgekehrt sind und sich weiter ins Tessin ausbreiten, ist präsent.
Ein paar Hühner machen es sich unter unserem Tisch gemütlich.
Nach einem recht blockigen Anstieg zur Bocchetta di Piancha Geneura genießen wir nur kurz die Aussicht.
Auf der anderen Seite erwartet uns wiederum knackiges Blockgelände, das wir gern hinter uns lassen.
An der Alpe d’Örz interpretiere ich die Erschöpfungssignale anders als von Lady C. gewünscht/gehofft/erwartet. Eine angespannte Stimmung macht sich breit.
Wir gehen weiter. Überraschend zügig erreichen wir den Passo del Mauro auf ca. 2400 Hm. Hier erwartet uns nochmals ein Abstieg, der volle Aufmerkamkeit fordert.
Anstatt in den angegebenen 40 Minuten erreichen wir unser Ziel, Capanna Alpe Cava, nach 2 Std. Es ist 20 Uhr.
Ergebnis: große Erschöpfung bei Lady C., zwei defekte Wanderstöcke und eine schlechte Stimmung. Und gleichzeitig eine tolle Tour.
Das freundliche Hüttenteam unterstützt, soweit möglich mit einfachem, gutem Essen, Bier und warmer Dusche. Insgesamt sind wir nur sechs Gäste in dieser Nacht.
Tag 18 – Alp de Rossiglion – Capanna Cava – 12,3 km – /1293 Hm – \1180 Hm
Tag 19 – Dienstag, 11. Juli:
In noch angespannter Stimmung verlassen wir die auf einer Hochebene gelegene Capanna Alpe Cava.
Schweigend trotten wir vor uns hin. Der Weg ist besser als gedacht. Anstatt über Fahrwege geht es steil durch Wald und Wiesen hinab bis zum Talende Biborgh.
Ich erinnere mich, wie wir vor einigen Jahren mit dem Bully von Mr. C. hierher gefahren sind, um von hier aus eine Bergwanderung an den Luganer See zu beginnen …
Wie üblich geht es ab der tiefsten Stelle wieder aufwärts, hier auf einer selten von Autos benutzten Straße. Um aus den Niederungen herauszukommen braucht es Ausdauer … die Stimmung bessert sich je höher wir steigen.
Die alten Häuser im Tessin faszinieren mich schon immer, insbesondere wegen ihrer massiven Steindächer.
Der letztendliche Aufstieg nach Solgone entpuppt sich als ziemlich steiler, aber gut angelegter und gepflegter Weg, der häufig von Haselnusssträuchern, Esskastanienbäumen und Jungbuchen beschattet ist.
Einige wenige Gebäude stehen noch etwas exponierter auf einem Bergrücken. Kein Mensch weit und breit. Die Siedlung wirkt sehr gepflegt. Früher war hier ärmliche Subsistenzwirtschaft, heute sind es rustikale Ferienhäuschen (Rustici), die nur zu Fuß zu erreichen sind. Kein Mensch ist hier anzutreffen.
Eigentlich wollen wir auf einem der wenigen ebenen Plätze unser Zelt aufbauen. Doch braut sich ein Wetterumschwung zusammen.
Das ‚Dorfgemeinschaftshaus‘ steht offen. Es wird seit ca. 2012 nur noch als Abstellraum genutzt. Unzählige kleine Eidechsen gehen hier ein und aus. Wir kehren ein wenig den Staub der Zeit beiseite und richten uns ein.
Die Nacht beschert uns eine Gewitterorgie mit dauerhaftem Starkregen. Dankbar dürfen wir von innen zuhören und den andauernden Lichtblitzen zuschauen.
Tag 19 – Capanna Cava – Solgone – 16,7 km – /1567 Hm – \926Hm
Tag 20 – Mittwoch, 12. Juli:
Der Regen hält noch an, wenn auch viel schwächer. Die Wettervorhersage (ja, wir sind hier oben mit der Netzwelt verbunden!) kündigt schwankende Verhältnisse an.
Die meisten finden es crazy, dass ich Schuhputzzeug in meinem Rucksack mitschleppe.
Heute bin ich echt froh darüber, dass ich unsere Bergstiefel auf einen nassen Gang vorbereiten kann.
Frühstücken, Regensachen anziehen und Übernachtungsplätzchen abschließen.
Im Val di Blenio hängen noch die Wolken.
Der bestens gepflegte Weg führt uns auf der Höhe an Siedlungen vorbei, die nur noch zum kleinen Teil der Alpwirtschaft dienen. Ansonsten pflegen hier Menschen ihre Rustici und versuchen sich in ihrer Freizeit für ihre Arbeit zu erholen.
Wir passieren kleine Wasserfälle, die heute etwas fülliger ausfallen.
Entsprechend herausfordernd ist manchmal die Überwindung der Bäche.
So mancher Wegabschnitt sieht wilder aus als er ist. Wie im Leben.
Wir begegnen einem einheimischen Ziegenhirten (nebenberuflich). Er ist mit der Beseitigung der Schäden des gestrigen Unwetters beschäftigt. Sein Gemüsegarten wurde mit einem weißen Teppich von Hagelkörnern überzogen. Nur wenige Pflanzen haben überlebt.
Er gibt uns noch Tipps für unsern weiteren Weg und wir verändern daraufhin unseren Tagesplan.
Der empfohlene Weg ist nicht als Wanderweg markiert und nur den Einheimischen bekannt. Er führt uns an einem Rustico vorbei, das von Erika, einer weitgereisten Dame in gehobenem Alter bewohnt wird.
Sie lädt uns zu Tee und Plätzchen ein. So überstehen wir einen Regenschauer auf angenehme Weise.
Noch eine Stunde und wir kommen in Dandrio an. Der Fürbeda-Wasserfall am Dorfrand ist erster Blickfang. Sein lautes Rauschen wird uns in Dandrio immer begleiten.
Wir kommen im Ristoro Alpino unter. Es ist die alte Dorfschule, wird von der Gemeinde verwaltet und bietet Schlafplätze und ein Abendessen zu moderaten Preisen (für schweizer Verhältnisse).
Tag 20 – 13 km – Sogoldone – Dandrio – /1221 Hm – \1005 Hm
Tag 21 – Donnerstag, 13. Juli:
Mit einem Cappu und einem Kuchen im Bauch machen wir uns auf ins Val d’Orìn.
Da es in den letzten Nächten stark geregnet hat und dieses Tal voller Wasserfälle und Bäche ist, gestaltet sich unser Aufstieg recht wässrig. Sowohl auf den Wegen als auch über die Wiesen fließt das Wasser ab und sammelt sich in den Seitenbächen, die wiederum in den Orin fließen.
An den Terrassenkonturen oberhalb der Siedlung kann man erkennen, dass früher neben der Viehwirtschaft auch Pflanzen zur Ernährung auf diesen Terrassen angebaut wurden.
Je höher wir kommen, um so mehr Wasser kommt uns entgegen.
Eine normalerweise einfache Bachquerung wird zu einer langwierigen Aufgabe, eine mögliche Traverse zu finden.
Am Wegesrand entdecke ich ’seriengefertigte‘ alte Rustici 😉
Kurz vor dem Ziel, der Capanna Quarnei (2099 Hm) werden wir vom Regen und von Kälte eingeholt.
Die Hütte ist eingerüstet, weil das Dach restauriert wird. Wir freuen uns auf eine trockene Unterkunft mit warmem Abendessen.
Tag 21 – Dandrio – Capanna Quarnei – 6,3 km – /918 Hm – \32Hm
Tag 22 – Freitag, 14. Juli:
Heute steht die Überschreitung des Passo di Laghetto auf unserem Programm.
Das Wetter hat sich zum NassKalten gewendet. Bei ca. 14° freuen wir uns über jeden Sonnenstrahl.
Wieder begleiten uns große Wasserfälle auf unserem Weg.
In Bayern wäre schon ein Kiosk oder ein Gasthaus errichtet worden, um von dieser Attraktion zu profitieren.
In Wolken hüllt sich das Rheinwaldhorn (3402 Hm), oder wie es hier genannt wird, die Adula.
Inmitten dieses steilen, mit Gras durchsetzten Steinhangs finden sich Blumen und Falter auf ca. 2400 Hm.
In dieser Rinne ging es hoch zum Passo di Laghetto auf ca. 2600 Hm.
Oben angekommen begrüßen uns dreiste Ziegen, die es auf unseren Schweiß und unserer Vorräte abgesehen haben.
Kaum habe ich meinen Rucksack abgesetzt, um meine Jacke heraus zu holen, – schon steckt eine Ziege ihren Kopf in meinen Rucksack auf der Suche nach Essbarem.
Ein einfacher Abstieg durch ein Felstheater …
… führt uns zur Capanna Adula des Club Alpino Svizzera, einer Hütte alten Stils, hoch über dem Val di Blenio.
Früh am Mittag machen wir es uns so gut es geht gemütlich bei ca. 14° Außentemperatur. Geheizt wird nur mit dem Küchenofen. Warm ist anders.
In den letzten Tagen haben unsere Stöcke stark gelitten. Einer ist nicht mehr nutzbar und zwei nur noch sehr bedingt.
Die Ersatzteilbeschaffung ist schwierig, da die Stöcke zwar gut aber von keiner weit verbreiteten Marke sind.
Wir werden also morgen früh nach Olivone absteigen (10 km, 1400 Hm) und das Notwendige mit dem Nützlichen verbinden: Geld abholen, neue Stöcke kaufen, defekte Stöcke nach Hause schicken, Lebensmittel aufstocken, Zimmer mieten, Wäsche waschen, Körper pflegen, etc.
Nach all diesen ToDos werden wir froh sein, am Sonntag wieder weiter durchs Tessin vagabundieren zu können.
Tag 22 – Capanna Quarnei – Capanna Adula CAS – 5,8 km – /690 Hm – \784 Hm
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