Das wollte ich schon immer mal erleben, auch um meine Vorstellungen mit der Realität abzugleichen. Bevor ich in das alljährliche MurmeltierDasein daheim verfalle, will ich nochmal raus – für einen Kurzausflug in die Berge des Nationalparks Val Grande, die zwar nicht so hoch, aber dafür ‚wild‘ sind. Das durfte ich schon Pfingsten 2008 erfahren und auch im Juni 2025 machten wir eine Stipvisite im Val Grande.
Tag 0 – Donnerstag, 9. Oktober:
‚Zügig‘ und pünktlich komme ich von Kassel nach Domodossola im Piemont. Ich kehre noch kurz in die Bar meines Vertrauens auf einen Cappuccino ein. Dann geht es weiter mit der schnuckeligen Ferrovia Vigezzina, einer kleinen Eisenbahnlinie, die sich in vielen Serpentinen und durch einige Tunnel hinauf ins obere Valle Vigezzo windet.
In Re steigen ich aus, bevor die Bahn weiter hinunter durch das Centovalli nach Locarno in die Schweiz fährt.
Ein wunderbar langsamer, stündlicher! Pendelverkehr – irgendwie aus der schnelllebigen Zeit gefallen.
Noch eine halbe Stunde laufen und ich bin in Folsogno angekommen, wo ich in der Trattoria Pace ein Zimmer für eine Nacht gebucht habe. Die erste Aussicht auf die sonnig-herbstlichen Wälder und Berge tut mir gut.
Am Abend überraschen mich Wirtin und Wirt mit selbstgemachten Kastanien-Kartoffel-Gnocchi u und Tomakäse-Soße. Wird nachgebaut!
Als Zugabe gibt es danach noch gaaaanz frisch gesammelte und geröstete Esskastanien zum Selbstknacken. Einfach und köstlich!
Tag 0: Bahnfahrt Kassel – Folsogno
Tag 1 – Freitag, 10.Oktober 2025:
Es sind nicht viele Kilometer bzw. Höhenmeter heute. Ich lasse mir beim Frühstück Zeit und gehe erst kurz nach neun los.
Da ich allein unterwegs bin, habe ich mir aus Sicherheitsgründen eine Durchquerung durchs Val Grande herausgesucht, auf der ich wahrscheinlich noch andere Menschen antreffen werde.
In Re bringt mich eine alte Fußgängerbrücke über den Mezzolo. Dabei sehe ich in der Ferne die ersten schneebedeckten Walliser Berge.
Beim Aufstieg komme ich an einem ehemaligen Alpgebäude vorbei, das sich soeben noch erahnen lässt. Es wäre gut, wenn alle menschengemachten ‚Errungenschaften‘ wieder so in die Natur übergehen werden (und das bereits wie selbstverständlich bei der Entwicklung und Produktion berücksichtigt würde).
Die herbstlichen Temperaturen machen die Blätter satt bunt. Es ist eine wahre Freude.
Das gut gepflegte Denkmal in Finero erinnert an die hiesigen Menschen im Widerstand gegen den deutsch-italienischen Faschismus in der Zeit von 1943 bis 1945.
Nach dem letzten und schön gelegenen Ort Finero (letzter Cappuccino in der lokalen Bar) geht es stetig aufwärts durch das Valle Cannobina, unter anderem an dieser uralten Älplerbehausung vorbei.
Der Wald lichtet sich vor einem herbstlich leuchtenden Talkessel, in dem das Quellgebiet der Cannobina liegt.
Um 16 Uhr erreiche ich die Alpe Vou sopra, wo ich mich im Rifugio Francia, einer Selbstversorgerunkunft, einrichte.
Der Schlafplatz unter dem Dach ist großzügig, …
… die Aussicht vom Rifugio prima. Ich hole Wasser im nahe gelegenen Bach.
Am Abend wird’s kühl und ich mache im Kamin ein Feuerchen, das mich wärmt.
Für Holznachschub ist selbst im Wald (Totholz) zu sorgen.
Kein Mensch oder anderes größere Tier weit und breit. Die Nacht kann kommen.
Tag 1: Folsogno – Alpe Vou – 11,1 km – / 996 Hm – \ 347 Hm
Tag 2 – Samstag, 11. Oktober 2025:
Kaum zu glauben. Insgesamt 11 Stunden Schlaf. Um halb acht beginnt mein Wanderwerk mit frühstücken, packen, frischmachen.
Steil geht es hinauf zur Alpe Cortechiuso. Fast unendliche Geduld und Energie hat es damals bestimmt gebraucht, eine solche Alp zu bewirtschaften und den Weg hinauf auch für Kühe begehbar zu machen. Wahrscheinlich war die Existenznot der eigentliche Antrieb.
Die Aussicht wird immer schöner und bunter, je höher ich komme.
Heute besteht die Alpe Cortechiuso aus einem Privatgebäude der „Freunde von Cortechuiso“, die sich um den Erhalt der Alpe kümmern.
Im Nebengebäude gibt es eine frei zugängliche Schlafmöglichkeit auf dem Dachboden.
Aufwärmen und/oder Kochen am Feuer im Gebäude ist nicht möglich.
Auf der Bocchetta Cortechuiso (2056 Hm) gibt es erstmal einen grandiosen Blick auf Monterosa, Weissmies und Dom.
Auch der Cervino (das Matterhorn) lässt sich in der Ferne auf dem unteren Foto erahnen. Auf meiner Netzhaut war er besser zu erkennen.
Der Weg zur Alpe Scaredi, mit 45 Minuten angegeben, dauert für mich 1,5 Stunden.
Einfacher Grund dafür ist, dass ich meine Grödeln daheim gelassen habe und der Weg mit vereisten Schneeresten reichlich bestückt war, mit denen ich zu kämpfen hatte (ausweichen, einkerben, rumeiern).
Im normalen Gelände bekomme ich nochmal ein „Seelein an Monterosa“ vor die Linse. Davor die Bergkamm des Val Grande.
Es ist Samstag und das leicht zugängliche und wunderbar gelegene Bivacco Scaredi (1840 Hm) ist voll mit lauten, italienischen Jungmännern, die wissen wie toll sie sind.
Nach einer ausgiebigen Vesper in selbstfürsorglichem Abstand mache ich mich auf den Abstieg von fast 1000 Hm ins obere Val Grande.
Die Farben des Herbstes schreien mich an.
Chlorowynig statt Chlorophyl.
Ich passiere einen wunderbaren Badegumpen …
… und eine mitten im Buchenwald rauschende herrliche Wasserkaskade.
Kurz vor In la Piana überquere ich noch eine etwas wackelige Hängebrücke.
Dann sind die Bivacchi in la Piana auf 970 Hm inmitten eines Talkessels erreicht. Drei Gebäude stehen zur Übernachtung zu Verfügung.
Im Laufe des Abends trudeln immer mehr Menschen ein, meist junge ItalienerInnen. Am Ende sind es 25 Wandernde, die sich auf die Häuser verteilen. Eine angenehme Atmosphäre macht sich breit, die wohl auch von Rotwein, ‚magic cigarettes‘ als auch von den herbstlichen Farben verstärkt wird.
Drei Comaschi (Einwohner von Como) kochen Pizzoccheri auf dem Außenfeuer.
Der Abend ist mild und wir sitzen noch lange draußen bei StirnlampenRotlicht und Wasserrauschen des Rio Grande.
Übrigens gibt es seit 2019 mindestens einen Bären im Gebiet Val Grande (Name: M29, männlich, Herkunft: Trentino), der auch im Mai 2025 durch eine Wildkamera fotografiert wurde.
Er macht sich bei den Menschen durch Ausräubern von Bienenstöcken unbeliebt.
Tag 2: Alpe Vou – Bivacco In la Piana – 10 km – / 843 Hm – \ 1306 Hm
Tag 3: Sonntag, 12. Oktober 2025
Ein spätes Frühstück mit den drei Comaschi, …
… Bivacco aufräumen und dann geht jeder seiner Wege.
Zunächst laufe ich durch schier ‚endlosen‘ Jungbuchenwald (sie sind meist erst 70 Jahre jung) im oberen Val Grande.
Will man durch das eigentliche Val Grande weitergehen, braucht es Helm und Klettersteigset, um an einem Drahtseil durch die feuchte Schlucht des Rio Grande zu kommen. Außer an der sportlichen Herausforderung habe ich daran kein Interesse.
Ich zweige ab hinauf in ein Nebental, das Val Serena. Die Reste einer alten Seilbahn zur Holzabfuhr sind zu besichtigen, …
… was mich daran erinnert, dass das Val Grande bis vor 75 Jahren noch eine ziemlich raubbaumäßig ausgebeutete Landschaft war.
Die Farben des Herbstes prasseln hier mal wieder auf mich ein.
Gleichzeitig verstecken sich die Gipfel in Nebel. Mystisch.
Es sind dieFarben der Vergänglichkeit, …
… notwendig, damit Neues entstehen kann.
Ich mache Pause an der vergangenen Alpe Serena. Über 10 Häuser waren hier zu besten Zeiten bewohnt.
Jetzt machen sie Platz für neu entstehende Wildnis.
Schließlich erreiche ich das Bivacco Colma, das luftig auf 1728 Hm auf einem Pass steht.
Mit vier Menschen und einem Hund aus Deutschland teile ich mir die recht komfortable Unterkunft.
Am Abend trübt es ein …
… und es ergibt sich eine Weichzeichner-Stimmung. Wir sind froh, im TrockenWarmen zu sitzen und schlafen zu können.
Tag 3 – In la Piana – Bivacco Colma – 6,2 km – /1036 Hm – \ 272 Hm
Tag 4: Montag, 13. Oktober 2025
Es ist am Morgen noch mehr zugezogen als gestern Abend.
Das Wetter für die nächsten Tage wird als feucht vorhergesagt. Da bin ich froh, dass meine Vorräte aufgebraucht sind und ich im Tal nachladen muss. Auch habe ich keine Lust, das feuchte Wetter im Tal auszusitzen oder im Nassen durchs Val Grande zu stapfen. Somit steige ich ab und beende diesen Kurzausflug ins Val Grande.
Es ist mal wieder ein Rücksturz zur Erde. Gute 1600 Hm geht es bergab, vorbei an ehemaligen Alpsiedlungen, die jetzt zu hübschen Ferienhausensembles aufgefrischt wurden.
Schon nach zwei. Stunden erreiche ich den ersten Parkplatz für Autos. Er ist, bis auf mengenweise Esskastanien, leergefegt.
Ich sammle auf dem weiteren Abstieg bestimmt zwei Kilo Kastanien, um dieses Rösten, Knibbeln und Knabbern zu Hause zu praktizieren.
Ein auf der Karte eingezeichneter schmaler Pfad führt irgendwann nicht mehr weiter. Zugewachsen und von umgestürzten Bäumen belegt. Noch bin ich im Nationalpark Val Grande. Also schweißtreibend zurück bis ich einen anderen gangbaren Weg gefunden habe.
Noch rechtzeitig erreiche ich Premosello-Chiovenda im Ossolatal. Hier scheint ein gewisser Stolz auf den Nationalpark Val Grande zu existieren. Die Ausschilderung lässt den Rückschluss zu.
Tag 4 – Bivacco Colma – 7,6 km – / 196 hm – \ 1691 Hm
Während der Zugfahrt nach Domodossola reift meine Entscheidung – nach dem Einkauf von Kastanienmehl, Tomakäse und Rotwein sowie einem Abschiedsgetränk in der Bar meines Vertrauens – die zügige Nachtverbindung nach Kassel zu nutzen.
Erkennnis: ein Kurzausflug ins Val Grande – auch nur für fünf Tage – ermöglicht das Erleben einer anderen, wieder etwas ‚wild‘ gewordenen Landschaft, was es im Alpenraum sonst nur in den hohen Regionen von Steinen, Schnee und Eis gibt. Da alle Vorräte mitgeschleppt werden müssen, ist ein durchgehender Aufenthalt von mehr als vier bis fünf Tage im Nationalpark Val Grande nur schwer möglich.
Gern fahre ich wieder – und besonders im Herbst – nach Domodosssola, um noch andere Ecken des Val Grande kennenzulernen.
















































Schöne Tour, die auch noch auf meinem Wunschzettel steht.
Hallo Jörg, danke für deinen Kommentar.
Das Val Grande ist auf meiner Liste für kleinere Mehrtageswanderungen weit nach oben gerutscht, auch weil es so gut und schnell erreichbar ist.