Irgendwie geistert mir die Strecke schon seit längerem im Kopf herum. Warum genau, weiss ich nicht. Wenn ich den Weg gehe, werde ich es vielleicht erfahren.
Auf waymarkedtrails habe ich mir zur Orientierung die passenden Wege ausgesucht und miteinander verbunden:
- X3 (Wildbahn) von Kassel bis Spangenberg
- X8 (Barbarossaweg) von Spangenberg bis kurz vor Röhrda
- E (Elisabethpfad) von Netra bis Lüderbach
- Kolonnenweg von Point Alpha bei Lüderbach bis Pferdsdorf
- X5 Werra-Burgen-Steig von Spichra bis Hörschel
- R (Rennsteig) von Hörschel bis Hohe Sonne
- EB (Internationaler Bergwanderweg der Freundschaft) von Hohe Sonne bis zur Wartburg
- L (Lutherweg) von der Wartburg bis Eisenach
Feinheiten werden im Laufe des Gehens angepasst.
Tag 1 – von Kassel zur Ruine Reichenbach
Durch die Straßen von Kassel will ich nicht laufen. So nutze ich den Bus und fahre soweit ans Grüne wie möglich und steige in Kassel-Crumbach aus. Nach einem kleinen Asphalthatscher werde ich von der ‚wilden Bahn‘ gleich eingenommen.
Wilde Pilzgroßfamilien begleiten mich durch verwachsene und teilweise matschige Wege. Es kommt Freude auf. Übrigens wurde der Weg zwischen Kassel und Spangenberg bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts noch ‚Schusterpfad‘ genannt und von Schustern und anderen Handels- und Handwerksleuten genutzt, um ihre Ware von Spangenberg nach Kassel auf Markt zu tragen und dort feilzubieten.
Schon im nächsten Dorf holt mich die neue deutsche SchotterGarten’Kultur‘ ein. Ich kann Steinen beim Wachsen zusehen …
Auch der Zerfall des ländlichen Raumes lässt sich am Ortsausgang erahnen. Das hat sogar etwas Idyllisches für mich. Immerhin holt sich hier die nicht-menschliche Natur gaaanz langsam das zurück, was der Mensch nicht mehr braucht.
Hihi, ein kleiner Baumpilz hat seinen Platz auf einer Wandermarkierung gefunden, ein anderer bildet zufällig einen Schutzschirm für die Beschilderung des ‚Ars Natura‘-Weges.
Ich treffe auf für mich mehr oder weniger interessante (Kunst-)Objekte am Wegesrand, deren Sinn sich mir auch manchmal erschließt.
Der ländliche Ladenleerstand in Dörfern und Kleinstädten wird durch in Heimarbeit hergestellte Stickbilder nach Vorlage gefüllt. In Spangenberg wechsele ich auf den Barbarossaweg (X8), der mich weiter nach Nord-Ost leitet.
Noch im Hellen erreiche ich die Ruine Reichenbach. Mein Abendessen koche ich schon im Halbdunkel. An die MitweltGeräusche, wie Geraschel im Gebüsch und Vogelrufe gewöhne ich mich schnell.
Einen komfortablen und trockenen Schlafplatz finde ich oben im restaurierten und überdachten Turm.
Tag 1 – 33 km – / 1091 Hm – \ 785 Hm
Tag 2 – von Ruine Reichenbach bis zur Boyneburg
Mit Morgenrot und Rehgebell startet der junge Morgen. Noch liegen die Talsohlen in einer Nebelschicht.
Der Herbst mit seinen bunten Farben bereitet mir beim Wandern Freude.
In Waldkappel wird versucht fantasievoll mit dem allgegenwärtigen Ladenleerstand umzugehen. Wenn jemand eine Idee hat, die er/sie mit Hilfe dieses Ladengeschäftes ausprobieren möchte, ist er/sie herzlich dazu eingeladen. Gute Idee. Ich wünsche gutes Gelingen.
Das Fichtensterben macht auch vor NordOstHessen nicht halt.
Mal wieder ein Kunstobjekt am Ars-Natura-Weg, der hier mit dem Barbarossaweg identisch ist.
Weit und allmählich herbstbunt wird die Landschaft. Dazu gesellt sich das Braun der frischen Ackerkrume, Vorbote für wiederkehrendes Wachstum.
Leider habe ich kein Ei und keine Semmelbrösel mit. So bleiben die Parasole von einem Schnitzeltod in meinem Topf verschont.
Wieder kurz vor Aufkommen der Dunkelheit erreiche ich mein heutiges Ziel, die Boyneburg. Sie liegt zwar sehr idyllisch, lädt jedoch nicht direkt zum Übernachten ein, weil feucht und dunkel.
Ganz nahe bei finde ich am Waldesrand ein nettes Plätzchen für mein Zelt. Nach dem Abendessen richte ich mich für die Nacht ein.
Tag 2 – 28 km – / 930 Hm – \ 920 Hm
Tag 3 – von der Boyneburg bis zum Wartburgblick Hörseltal
Die bringt für mehrere Stunden mäßigen Dauerregen. Mein Zelt hält dicht und ich hab’s gut darin. Lediglich am Morgen ist alles irgendwie klamm und ich muss das Zelt nass einpacken, bevor ich weiter laufe.
Ich wechsele vom Barbarossaweg auf den Elisabethpfad, der ein typischer Pilgerweg ist: Langweilig, asphaltiert, wenig Außenreize. Scheint System zu haben und beabsichtigt zu sein, um beim Pilgern einfacher Buße tun zu können. Nix für mich.
Ich ändere schnellstmöglich meinen Wanderplan und wechsele hinter Lüderbach auf den Kolonnenweg entlang der ehemaligen Grenze zwischen DDR und BRD. Weil sie dick überwachsen sind, sieht man die Kolonnenwegplatten aus Beton nicht mehr, auf denen aus Staatsschutzgründen die Volkspolizei im Auto oder fußläufig mit Hunden patrouilliert ist. Der Weg wächst mehr und mehr zu. Lediglich an Steilpassagen hat der Grünbewuchs es noch schwer, dauerhaften Halt auf den Platten zu finden. Aber auch das ist nur eine Frage der Zeit, – wie alles.
Ab Pferdsdorf-Spichra mache ich noch einen kurzen Abstecher auf den thüringischen Werra-Burgen-Steig. Den müsste ich eigentlich kennen, da ich schon 2020 auf unserer Deutschlandrunde hier entlanggelaufen bin. Doch ich erinnere mich an nichts mehr.
In Hörschel beginnt der Rennsteig, der auf 169 km durch den Thüringer Wald führt. Ziemlich alt ist der Weg schon. Bereits 1330 wird er in Aufzeichnungen als Reit- und Gehpfad erwähnt. Jetzt ist er überbestens ausgebaut und im Sommer viel besucht. Ich treffe auf keinen Menschen.
Am frühen Abend erreiche ich die Schutzhütte ‚Wartburgblick Hörseltal‘. Auch die kenne ich bereits von unserer Deutschlandrunde. Der Ausblick ist auch heute wieder toll. Leider habe ich nur mein mobiltel als Fotogerät mit und kann daher nur schemenhaft fotografieren. In 2020 ist mir das besser gelungen.
Tag 3 – 30,4 km – / 660 Hm – \ 800 Hm
Tag 4 – vom Wartburgblick Hörseltal bis Eisenach
Nach einer guten Schlafnacht in der Schutzhütte (ohne das noch feuchte Zelt aufzubauen) darf ich um kurz vor sieben ein ähnliches Lichtspiel wie gestern Abend erleben und versuche es auf einem Lichtbild zu fixieren.
Auf dem Rennsteig komme ich an der Hofgemeinschaft Gutshof Clausberg vorbei, einem genossenschaftlichen Projekt für gutes Leben und Arbeiten bei gutem Umgang mit der Mitwelt.
Ich bewundere den natürlichen und schönen Schutz der Staketen vor Verwitterung durch wohlgeformte Schneckenhäuser.
Die ‚Hohe Sonne‘ ist ein Ausflugsziel in der Nähe von Eisenach mit langer Geschichte. Übrig geblieben davon ist ein Wanderparkplatz mit angeschlossenem Imbiss (Kaffee und Kuchen sind lecker) und sehr gut deklariertem Waschbecken.
Auf Empfehlung eines Hörschelers laufe ich weiter Richtung Eisenach durch die Drachenschlucht, die mich wirklich beeindruckt, sowohl von der Gesteinsformation als auch von der Art, wie sie begehbar gemacht wurde. Die schmalste Stelle ist lediglich 68 cm breit. Es ist Sonntag. Ganze Familiengruppen mit und ohne Kleinkindern kommen mir entgegen. Wir warten abwechselnd geduldig, bis wir gut aneinander vorbeikommen. Trotz Fülle eine angenehme Stimmung.
Die Wartburg erreiche ich am frühen Nachmittag. Auch hier tummeln sich Sonntagsausfliegende. Hier an der Wartburg beginnt auch der ‚Internationale Bergwanderweg der Freundschaft‘. Allein schon wegen seines Namens, der noch an DDR-Zeiten erinnert, finde ich den Weg interessant. Wird gemerkt.
Ein kurzes Stück auf dem Lutherweg bringt mich nach Eisenach hinunter. Überall herrscht Sonntagsausflugsstimmung – inklusive des Verzehrs einer original Thüringer Rostbratwurst. Da ich keine Rostbratwurst gegessen habe, weiß ich nicht, ob ich hier nördlich oder südlich des ‚Kümmeläquators‘ bin.
Abschließend sitze ich auf dem schönen Marktplatz dieser auf den ersten Blick wirklich tollen Stadt Eisenach. Ich esse meine letzte Stulle und mache mir meine Gedanken über die Landtagswahlen in Thüringen, speziell in Eisenach. Bei einer Wahlbeteiligung von fast 68% hat die AfD einen Stimmenanteil von 31,4% erreicht. Umgerechnet heißt das, dass statistisch jede/r 5te über 18 Jahre an mir vorbei Flanierende sein/ihr Kreuz bei der o.a. Partei gemacht hat. Das macht mich nachdenklich. Welche Grundstimmung ist hier anders als in Städten gleicher Größe und einem geringeren AfD-Stimmenanteil? In so kurzer Zeit, wie ich hier sitze, bekomme ich das leider nicht heraus. Es bleiben mir lediglich Vermutungen.
Der Bahnhof von Eisenach ist unter anderem mit einem Glaskunstfenster aus Zeiten des vergangenen Arbeiter- und Bauernstaates DDR geschmückt. Macht echt was her. Hier kann ich ein bisschen den BürgerUnmut nachempfinden, der dadurch entsteht, dass fast nichts von der 40jährigen DDR-Geschichte in die neue gemeinsame BRD-Geschichte positiv integriert wurde. Es fehlt eine in der Vergangenheit gegründete gute Identität, für die heute eine Kompensation gesucht wird. Aber wie gesagt -alles nur Vermutungen und Interpretationen.
Tag 4 – 16 km – / 563 Hm – \ 733 Hm
Auf jeden Fall habe ich ein neues interessantes Wandervorhaben für Zeiten außerhalb des Bergsommers gefunden, mit dem ich mich mal näher beschäftigen werde.
Wieder eine schöne Tour!
Ich freue mich immer wieder über deine Beobachtungen am Wegesrand .
Grüße aus dem Pfälzer Wald
Jörg
Hallo Jörg,
danke für deinen Kommentar.
Jep, ich freue mich auch über die kleinen und großen Dinge, die mich zum Nachdenken, Staunen, Bewundern anregen – aber auch enttäuschen oder still werden lassen.
Liebe Grüße, auch an ‚Erika‘