Zwischen Vanoise und Écrins

Wir brauchen sechs Tage, um vom Vanoise in Richtung Süden zu Les Écrins zu gelangen. Wanderungen zwischen zwei Gebirgsgruppen. Vom Mittelgebirgswandern über Asphalthatscher, einer Zeltnacht in Thabor-Gebiet bis zur italienischer Atmosphäre auf französchem Boden ist alles dabei.


Tag 40 – Dienstag, 7.8.: Termignon – Modane

Die örtliche Bäckerei in Termignon öffnet bereits um 6:30 Uhr. Fast pünktlich sind wir dort, um uns Café, Rosinenschnecken und Schokocroissants zu gönnen. 

Wir nehmen den roten Faden der Via Alpina wieder auf und laufen auf dem ‚Chemin du petit bonheur‘, dem Weg des kleinen Glücks, …

… der uns entlang des Flusses L’Arc gemütlich durch Wiesen, Wälder und gepflegte Dörfchen bis nach Modane leitet.

Eine grauenvolle Ausnahme ist das Skiresort ‚La Norma‘, das seinem Namen alle Ehre macht. Hunderte von gleichen Ferienhäuschen, große Wohnkomplexe mit hunderten von Ferienwohnungen, eine künstliche Geschäftsinfrastruktur und ein paar Skilifte und -pisten – fertig ist das künstliche Dorf.  Wir sind froh, das wir nur durchlaufen müssen.

Überraschend erscheint dann auf der anderen Flussseite das gigantisch anmutende Fort Victor-Emmanuele I , das dieser 1818 zum Schutz des Königreichs Sardinien errichten ließ.

Königreich Sardinien? Noch nie was von gehört. Wird im Winter recherchiert.

Ein ‚Un’kraut am Wegesrand.

Früher als erwartet erreichen wir Modane, ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für den Bahn- und Autoverkehr in der Nähe der französisch-italienischen Grenze. 

Der Ort hat auch schon bessere Zeiten erlebt und zeichnet sich mehr durch Funktionalität als durch Schönheit aus. 

Wir haben Glück mit unserer Auswahl des Hotels, das direkt am Bahnhof liegt. Und wir kaufen in einem Supermarkt ein, der wirklich mal ein super Markt ist.

Gut mit Proviant ausgestattet sowie mit Pizza und Bier gefüllt, freuen wir uns auf den nächsten Wandertag.

Tag 40 – 20,4 km – / 815 Hm – \ 996 Hm


Tag 41 – Mittwoch, 8.8.: Modane – Col de la Valée Étroite

Spät, um 9:15 Uhr gehen wir los. Das reichhaltige Frühstück im Hotel Commerce hat uns aufgehalten. Außerdem wollen wir heute absichtlich spät am Ziel ankommen, um nicht solange in der prallen Sonne zu sitzen, bevor wir am Abend das Zelt in 2400 Meter Höhe aufbauen können. 

Doch zu Anfang gibt es für Lady C. gleich ein Erlebnis der besonderen Art: einen in die Jahre gekommenen, etwas verrotteten, engen Fußgängertunnel, dessen Ende nicht gleich zu erkennen ist und der unter den Gleisanlagen von Modanes Bahnhof entlang führt.

Weiter führt unser Weg durch die Großbaustelle einer neu errichteten Straßenbrücke, die eine alte ersetzt…

… um sich dann in zwölf Kehren auf Asphalt mit mäßigem Autoverkehr nach Valfréjus hochzuschrauben.

Dabei bekommen wir nochmal wir Aussicht auf die Bahnhofstraße von Modane …

… und einer Verteidigungsanlage oberhalb von Modane, die zur Maginot-Linie gehört. Sie wurde von französischen Arbeitenden zwischen 1930 und 1940 zum Schutz vor Angriffen aus Deutschland oder Italien errichtet wurde.

Gut, dass es heute die Europäische Union gibt, die durch die Integration gemeinsamer Interessen auch gewalttätige Konflikte zwischen den Mitgliedsländern verhindern hilft.

Valfréjus entpuppt sich auch als ein künstliches, aus dem Boden gestampftes Skiresort, das sich mit  Sommerfreizeitangeboten (Hochseilgarten, MTB-Park, etc.) einen zusätzlichen Füllstand seiner Ferienwohnungen erhofft.

Nach einem schattigen Pfad durch den Wald erreichen wir das Fort du Lavoir, ebenfalls eine Befestigungsanlage der Maginot-Linie. 

Was für ein Gegensatz dazu ist dieses derzeit unbewohnte Hirtenhaus. Die ’schweizer‘ Fahne ist in dem Fall das Wappen des Department Savoie, durch das wir uns schon seit mehr als einer Woche bewegen.

Letzte Möglichkeit, Wasser zu zapfen. 

Die Gegend ist ziemlich trocken hier. Einige in der Karte angegebene Wasserstellen sind schon versiegt. Lady C. findet bei La Replanette noch einen Brunnen mit zartem Wasserfluss. Wir brauchen 30 Minuten, um ca. 2 Liter Wasser abzufüllen.

Dir Aussichten werden immer freier, natürlicher und wilder.

Kurz nach dem Col de la Vallée Étroite finden wir einen ebenen Platz für unser Zelt.

Kochen, Essen, Trinken, Minimalhygiene, letztendlich Zeltaufbau und Schlafen. Es ist 21 Uhr. Wir fühlen uns wohl.

Tag 41 – 12,7 km – / 1399 Hm – \ 79 Hm


Tag 42 – Donnerstag, 9.8.: Col de l’Etroite – Rif. I Re Magi

Wir lassen es heute langsam angehen und schlafen bis 7:30 Uhr, d.h. insgesamt 10,5 Stunden Schlaf. Im Zelt.

Lady C. erwacht.

Kaffee und Müsli geben uns den ersten Schubs in den Tag. Es geht hinab ins Vallée Étroite, ein überraschend wunderschönes Tal.

Wir kommen an einzeln stehenden Arven (Zirben) vorbei.

Später dann sind es so viele Bäume, dass wir durch einen Arvenwald gehen.

Arvenzweig und -zapfen

Da wir genügend Zeit haben, stechen wir zum Lac Vert ab, der eine echte Überraschung für uns ist. 

So toll gelegen, so grün! Für mich gehört er zu den schönsten Seen, die ich bisher in den Alpen gesehen habe.

Aber klar, er gefällt nicht nur uns.

Schon am frühen Nachmittag erreichen wir Granges de la Vallée Étroite (Granges=Scheunen), das nur 1,5 km von der italienischen Grenze entfernt liegt. Es gibt sogar eine Busverbindung ins italienische Val Stretta, von wo man leicht nach Susa und damit auf die GTA gelangen kann.

Das Rifugio I Re Magi ist uns heute Herberge. Viele italienische Tagesgäste besuchen das Vallée Étroite und das Rifugio, das mehr ein Restaurant mit angeschlossenem Dormitorio ist. Hauptsprache ist italienisch. Und alles auf französischem Boden. Culture melange.

Zum Abend hin verändert sich die Gästezusammensetzung. Zur Übernachtung bleiben hauptsächlich französische Wandernde, die auf der Tour de Mont Thabor unterwegs sind, einer fünftägigen Rundwanderung inkl. Besteigung des gleichnamigen Berges.

Auch hier werden wie selbstverständlich die Zelte draußen auf dem Gelände des Rifugio aufgeschlagen und die Angebote des Hauses nach Bedarf in Anspruch genommen. 

Beim Abendessen werden wir endgültig überzeugt, dass wir in einer italienisch geführten Hütte sind: vorab gibt es im Garten einen Apero für alle Gäste (Aperol, Polenta-Croutons). 

Das Essen ist großartig: als Primo gibt es ein kleines Sortiment bestehend aus Ciche, Souffle und Frischkäse mit Heidelbeeren; Secondo: Polenta mit Wurst in Tomatensauce; Dolce: Pannacotta mit Amarettini und Caramel. Lady C. sagt, ich soll die vielen großen Käsestücke nicht vergessen aufzuführen. Abgefüllt machen wir ins Dormitorio. Buonanotte.

Tag 42 – 6,7 km – / 22 Hm – \ 686 Hm


Tag 43 – Samstag, 10.8.: Rifugio I Re Magi – Refuge Buffère 

Noch abgefüllt vom Vorabendessen passt nur wenig Frühstück in uns hinein. Und gleich danach geht es im waldigen Schatten aufwärts.

Auf halber Strecke erschließt sich mir auf einmal der Name des Rifugio I Re Magi: Die Heiligen Drei Könige.

I Re Magi: Die Heiligen Drei Könige

Am Col Chavillon (2191 Hm) erwartet uns eine weite Hochenene.

Beim Abstieg durch das Vallon di Thures entdecke ich weitere für mich unbekannte Blumen.

Eigentlich führt uns die Via Alpina durch das Val la Clarée. Doch die Mittagshitze lässt mich einen Weg am Hang durch den Wald suchen und finden. Eine Wohltat, durch Halbschatten zu laufen.

Nicht ganz von der Hitze aufgeweicht erreichen wir Névache, das letzte und schönste Dorf im Val la Clarée. 

Die Häuser haben schon etwas südfranzösisches aber auch gleichzeitig etwas alpines.

Bei einer langen Pause an einer Boulangerie&Cafe treffen wir Catherine und Solange aus der Provence wieder, die wir im Rifugio I Re Magi kennengelernt haben. 

Wir tauschen Wandertipps und E-mail-Adressen aus bevor wir uns verabschieden.

Noch sind es 4,5 km und 470 Hm bis zu unserem heutigen Ziel. Auch diese dürfen wir hauptsächlich im Schatten eines Lärchenwaldes begehen.

Das Refuge Buffère liegt grandios auf einer Hochebene auf 2062 Hm.

Das Abendessen hat eine hohe Qualität und die Hütte ist mit viel Geschmack eingerichtet. 

Die Restsuppe wird von der Hüttenwartin feil geboten.

Nach dem Essen schwirren draußen die Mücken um uns herum und treiben uns früh in unsere kleine Kammer mit Stockbett.

Tag 43 – 14,4 km – / 994 Hm – \ 699 Hm


Tag 44 – Sonntag, 11.8.: Refuge Buffère – Monêtier-les-Bains

Alles ist klamm. Die hohe Luftfeuchtigkeit bei gleichzeitiger hoher Temperatur lässt unsere Kleidung auch über Nacht nicht trocknen.

Gleich beim Aufstieg zum Col de Buffère (2424 Hm) ist sowieso alles wieder nass. Der Schweiß fließt in Strömen, obwohl der Anstieg gar nicht heftig ist.

Mich beeindrucken die überall auf den hoch gelegenen Wiesen zu findenden Steinhaufen.

Generationen von Älplern räumten die Steine von der Wiese zu einem Haufen. So entstand mehr nutzbare Weidefläche für die domestizierten Tiere.

Und nochmal überraschen mich Blumen, die ich noch nicht mit Namen kenne.

Etwa zwei Stunden vor Schluss verliert sich auf einer Hochebene die Via Alpina im Nirvana. Nur mit Papierkarte wäre der Weg hier zu Ende gewesen und wir hätten den Rückzug antreten müssen.

Mit Navi jedoch finde ich eine Möglichkeit im weglosen Gelände die Richtung zu halten, bis wir wieder auf einen zugewachsenen Trampelpfad stoßen, dem wir durch Buschwerk und Dornen folgen, bis …

… wir einen ersten Blick auf die Berge der Les Écrins bekommen und gleichzeitig am Fuß den Ort Monêtier-les-Bains erkennen.

Eine mir unbekannte Distel stellt sich uns in den Weg.

Heute ist die Gite Etappe ‚Le Flourou‘ unsere Unterkunft. Die Köchinnen bereiten schon das Abendessen für ca. 40 Gäste vor, dass gemeinsam an langen Tischen eingenommen wird. Es entsteht kurzfristig eine lockere Gemeinschaft.

Wander-, Yoga- und MTB-Gruppen sowie Einzelwandernde wie wir haben sich hier für ein oder mehrere Tage einquartiert und genießen die angenehme Atmosphäre der Gite Flourou, bis es für die meisten früh ins Bett geht.

Tag 44 – 9,4 km – / 391 Hm – \ 990 Hm


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