Die letzten Meter 😉

Tag 77 – Mittwoch, 6. September:

Nach dieser Übernachtung mit Familienanschluss im Chalet Rrusta machen wir uns auf, einen Zipfel des südlichen Kosovos zu durchwandern.

Die Pflanzen zeigen uns, dass der Herbst bald kommen wird.

Leider fehlt uns wegen Wolkenbehang fast jede Sicht. Ca. 20 Meter weit können wir auf den Höhen sehen. Der Weg ist manchmal schwer zu finden, die Markierung dürftig. Nur mit Papierkarte und Kompass wäre eine Orientierung echt schwierig. Mit GPS ist das alles kein Problem.

Beim Abstieg zum Rugova-Camp trifft uns zum ersten Mal die harte Realität der kosovarischen Wanderwege. Der einst wahrscheinlich schöne Abstieg ist einer rauhen Forstpiste für die Holzabfuhr zum Opfer gefallen.

Hier herunter zu kommen ist eine reine Schlitterpartie im Schlammsteingemisch.

Im Tal lädt uns eine skurrile Hotelrezeption zum Check-In ein.

Wir lehnen dankend ab.

Der ‚Wanderweg‘ führt uns gute 7 km über Asphalt unserem heutigen Ziel entgegen. Die Landschaft ist mittelgebirgig und ähnelt ein wenig der fränkischen oder sächsischen Schweiz.

Eine Informationstafel informiert darüber, dass wir uns auf dem Weg ‚Peaks of the Balkans‘ befinden.

Diese Information ist auch dringend notwendig, denn von Peaks oder Bergpfaden ist hier nichts anzutreffen.

Lediglich einige Heureiter erinnern an den bäuerlichen Balkan.

Unsere heutige Unterkunft passt zum gesamten Tag: das Guesthouse Ariu wartet mit mittelmäßigem Essen und mittelmäßiger Unterkunft in einem fast an allen Stellen unfertig gebliebenem älteren Gasthof auf.

Tag 77 – 15,5 km – /1000 Hm – \1394 Hm


Tag 78 – Donnerstag, 7. September:

Immer noch ist es bewölkt. Die Luftfeuchtigkeit ist enorm hoch. Wir steigen durch Wald auf zur Hochebene, auf der wir den nördlichsten Punkt unserer Tour erreichen.

Bei Sonnenschein muss es hier richtig schön sein und gut wandern lassen, wenn ab hier sich nicht der Wanderweg wieder in eine Schlammpiste verwandeln würde.

Ursache dafür ist die Verlegung einer neuen Wasserleitung.

Leider ist nach der Verlegung der Weg nur ganz grob wieder hergestellt und nur schwer begehbar.

Am Weg lädt uns ein kosovarisches Paar zu sich ins Ferienhaus ein. Wir nehmen an und werden vielfältig bewirtet: Kaffee, Krapfen, eingelegtes Gemüse, Säfte und Chips. Es wird aufgetafelt, was möglich ist. Die Übersetzer-App auf unseren smartphones leistet gute Dienste.

Ich bekomme eine Hausbesichtigung und dabei die geplante Nutzung erklärt: Alle Familienmitglieder, die in Peja und in Österreich verstreut leben, sollen hier gemeinsam Urlaub machen. Ob der Wunsch auch Wirklichkeit wird?

Zum Ende hin bekommt Lady C. noch selbstgestrickte Socken geschenkt.

Wir verabschieden uns herzlich …

… und gehen weiter unseren Weg, der heute noch weit ist.

Den Rest der Tagesetappe verbringen wir auf Asphaltstraßen, die nach und nach die Schotterwege überwalzt haben.

Dies als Wanderweg der ‚Peaks of the Balkans‘ anzupreisen ist schon eine echte kosovarische Unverfrorenheit.

Reiseveranstalter für Wandergruppen umgehen diese Etappenteile, indem sie mit Busfahrten die Asphalt- und Schlammstrecken überbrücken. So entsteht bei den Teilnehmenden ein makelloser Eindruck über die ‚Peaks of the Balkans‘, der nicht der Realität entspricht.

Wir laufen von halbfertigen Feriensiedlungen zu stillgelegten Baustellen und bekommen die Hässlichkeiten des Landes direkt vorgeführt: Die Straßenränder sind teilweise voller Müll und Bauschutt.

Die wirklich herzliche kosovarische Gastfreundschaft steht im krassen Gegensatz zur Pflege der eigenen Umgebung.

Um 18:30 Uhr erreichen wir Guri i Kuc, ein großes Restaurant mit angeschlossener Ferienanlage. Ich vermute, dass in der Hauptsaison hier der kosovarische Bär steppt.

Außen ist es ein eigentlich unfertiger Bau mit vielen Baustellen drumherum.

Gleichzeitig strahlt das Restaurant innen trotz seiner Größe eine professionelle Gastlichkeit aus und das Essen schmeckt einfach gut: Lammfleisch mit Ofenkartoffeln, Schafsjoghurt und typischer Balkansalat.

Tag 78 – 22,8 km – /1336 Hm – \1444 Hm


Tag 79 – Freitag, 8. September:

Am Morgen geht es gleich weiter mit einem fotoreifen typischen Balkanfrühstück …

… und einer unfertigen Baustelle inkl. Müll und Bauschutt.

Ab hier ändern sich das Wetter, die Wegführung und die Wegart gravierend. Es geht in die immer noch umstrittene Grenzregion von Kososo und Montenegro.

Wir laufen durch eine Landschaft, die dem Bayerischen Wald ähnelt.

Ab ca. 2000 Hm wird es felsiger.

Ein wunderbar gelegener See lädt zur Pause ein.

Noch ist es zu frisch zum Baden.

Wir steigen weiter bis ca. 2300 Hm und bekommen eine Aussicht auf die Hügellandschaft des Kosovo.

Ein traumhaft schöner Höhenweg schlängelt sich an der kosovarisch-montenegrinischen Grenze entlang.

Letztendlich verlassen wir den so sehr widersprüchlichen Kosovo und werden mit Überschwang in Montenegro begrüßt.

Der Weg bleibt wunderschön und zieht sich abwärts durch riesige Teppiche von Heidelbeerbüschen, die sich schon teilweise rostrot färben.

Kaum in der menschengemachten Zuvielisation angekommen …

… stoßen wir auf ähnliche Phänomene wie im Kosovo. Halbfertige Baustellen, die bestimmt schon länger nicht mehr aktiv sind. Lediglich der wild abgelagerte Müll ist eindeutig weniger.

Auch unsere heutige Unterkunft, Babino Polje, hat den Charme der permanenten Unfertigkeit.

Wohnen auf der Baustelle

Vielleicht ist es auch ein Stück Lebenskunst, sich im ständig Unfertigen wohl zu fühlen.

Die riesige Außenküche ist ebenfalls eine Dauerimprovisation und wird nur im Sommer während der Wandersaison betrieben.

Die Gastgeber stellen wie selbstverständlich ihr Wohnzimmer für uns Gäste zu Verfügung, damit wir im Warmen zu Abend essen können.

Früh ziehen wir uns in unsere Schlafhäuschen zurück. Die gastgebende Familie soll ihre Privatsphäre zurück bekommen. Morgen steht mal wieder eine längere Etappe an.

Tag 79 – 15,7 km – /1234 Hm – \1140 Hm


Tag 80 – Samstag, 9. September:

Babino Polje, unser Nachtquartier liegt noch im Schatten.

Wir steigen auf guten Pfaden durch den Wald des Nationalparks Prokletije hinauf zum malerisch gelegenen Hridsko-See auf 1990 Hm.

Einem Vergleich mit den schönsten Bergseen in den Alpen, z.B. dem Lagh Saoseo hält dieser See locker stand.

Aber Vergleiche machen ja bekannterweise unglücklich. Also nehmen wir ihn so, wie er gerade da ist und machen eine ausgiebige Pause mit zeitlich sehr befristeter Badeeinlage.

erfrischend und kalt

Der Abschied fällt wirklich schwer.

Mit Blick auf den montenegrinischen Norden steigen wir auf einem Gemisch von Pfaden und Fahrwegen hinab.

Die Landwirtschaft übernimmt die Nutzung des Geländes.

Riesige Heureiter werden hier genutzt, um noch feuchtes, gemähtes Gras zu trocknen.

Montenegrinisches Stillleben: einfach und ohne Kfz-Kennzeichen (kommt hier häufig vor).

Früher als erwartet erreichen wir Plav am Plavsko-See und finden eine einfache Unterkunft mitten im kleinen Städtchen.

Bars und Läden des täglichen Bedarfs reihen sich aneinander.

Am Abend gehen wir in eine Lounge Bar mit Essensangebot und zwei großen Flachbildschirmen, auf denen dauerhaft ein Sportsender die neuesten Fussballspiele zeigt. Alt und Jung treffen sich hier. Es wird geraucht und viel geredet.

Bei unserer Bierbestellung stellen wir fest, dass hier kein Alkohol ausgeschenkt wird. In Deutschland unvorstellbar. Wir schauen uns um und bemerken, dass die jungen Männer mit Kaffee, Wasser und Käsekuchen den Abend verbringen. Hauptursache wird die zum großen Teil muslimische Bevölkerung sein.

Muezzin-Gesänge, die zum Gebet rufen, sowohl als Konserve als auch schräg und live, begleiten unseren nächtlichen Heimweg an schlafenden, freien Hunden vorbei.

Tag 80 – 21,1 km – /852 Hm – \1398 Hm


Tag 81 – Sonntag, 10. September:

Früh am Sonntagmorgen in den Straßen von Plav in Montenegro ist das Leben fast genauso lebendig wie am Samstag. Das Café ist gefüllt mit Männern.

Heute geht es in den Nationalpark Prokletije. Kurz davor schwätzen wir noch mit albanischen Mauerkunsthandwerkern.

Beim Aufstieg zum Maja e Borit merken wir wieder einmal, dass der Herbst naht.

Noch ein Rückblick auf den Plavsko See …

… und wir werden aufgesaugt von einer großen, geführten Gruppe (ca. 60) von montenegrinischen Sonntagswandernden, die sich an der Schönheit ihrer Heimat erfreuen.

Der Ausblick vom Maja e Borit ist toll.

Wir ziehen weiter …

… über eine herbstlich bunte Hochebene auf ca. 2000 Hm.

Beim Abstieg nach Vusanje nähern wir uns dem karstigen Grenzgebirge, den Verwunschenen Bergen, zwischen Albanien und Montenegro.

In Vusanje, einer Streusiedlung kurz vor der albanischen Grenze, sehen wir in der Ferne den Arapie, nur ca. 2200 Hm hoch und bekannt als das ‚Matterhorn Albaniens‘.

Tag 81 – 21,2 km – /1303 Hm – \1231 Hm


Tag 82 – Montag, 11. September:

Es ist der letzter Wandertag unseres Vagabundensommers.

Liria e vërtetë qëndron në vagabondazh.

Wir brechen sehr früh (6:30 Uhr) auf und erreichen am Dorfende von Vusanje bereits wieder den Nationalpark Prokletije.

Der Schatten des tiefen Tals tut uns gut. Links und rechts des Weges werden die Felswände bereits illuminiert.

Die Grenze zwischen Montenegro und Albanien wird mit einer Grenzpyramide aus den 1950ern markiert, als Montenegro noch zu Jugoslawien gehörte.

Die Sonne kommt.

Wir durchqueren mal wieder eine Hochebene, diesmal von einer Herde Schafe beweidet mit dazugehörigen Hunden und Schäfern.

In Richtung Peje-Pass wechselt die Landschaft ins Karstige …

… und wir nähern uns dem Arapi.

Lady C. hat vor zwei Jahren bereits die Arapi-Höhle besucht. Heute wollen wir versuchen, auf den Gipfel zu kommen, was 4 km und jeweils 1000 Hm rauf und runter mehr bedeutet.

Es gibt eine durch Steinhaufen markierte Route, der wir ca. 200 Hm folgen. Die weißen Felsen sind scharfkantig und bilden durch jahrtausende Jahre von Auswaschungen kunstvolle Reliefs.

Wir merken, dass wir für den Auf- und Abstieg viiieeel mehr Zeit benötigen würden als uns zur Verfügung steht …

… und brechen den Versuch ab. Immerhin haben wir auch so noch 1000 Hm Abstieg in der Mittagshitze vor uns.

Von der anderen Seite zeigt uns der Arapi seine 800 Meter hohe Steilwand, die erst 2010 zum erstenmal komplett durchstiegen wurde.

Etwas ent-täuscht kraxeln wir die endlos scheinenden Serpentinen in Richtung Theth hinab, bis wir das Café am Ende unserer Tour erreichen.

Jimmy Guri, unser albanischer Freund, lässt es sich nicht nehmen, uns hier mit dem Auto abzuholen, um uns die wirklich öden letzten 3 km nach Theth hinunter zu ersparen. So fahren wir gleich zu Bec Villi, unserem hiesigen zu Hause.

Die Zimmer sind alle schon belegt, so werden wir kurzerhand im Wohnzimmer einquartiert und schlafen auf dem Sofa in unseren Schlafsäcken selig ein. Vielen Dank für diese wie selbstverständliche und herzliche Gastfreundschaft.

Tag 82 km – /1092 Hm – \1351 Hm


Tag 83 – Dienstag, 12. September:

Wir warten auf den Minibus, der uns nach Shkoder bringen soll. Unsere Balkanzeit neigt sich dem Ende entgegen.

Jimmy nimmt sein Balkanfrühstück mit uns ein: Kaffee und Raki.

Wir sind etwas traurig, weil wir wahrscheinlich das letzte Mal hier gewesen sind.

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