Es kommt anders …

… als vorgesehen.

Sonntag, 27. August: Wir haben uns in Zinal, dem hintersten Dorf im Val d’Anniviers, einquartiert.

Relais de la Tzoucdana

Hier im Wallis (franz. Valais) regnet und oben in den Bergen schneit es zumindest heute und morgen. Die Tage danach sollen zwar sonnig werden, bleiben aber kalt bis zum Gefrierpunkt. Die Wege über 2500 Hm werden bis zu 50! cm mit Schnee bedeckt, schlecht auffindbar und unsicher begehbar sein. Abwarten, bis der Schnee wieder weg ist, dauert uns zu lange. Wir ändern komplett unsere Pläne, doch dazu später …

Zunächst mal zurück zu Tag 61 – Dienstag, 22. August:

Wie gewohnt, ein Abschiedsbild von der wunderbar gelegenen Cabane de Louvie (2236 Hm).

Cabane de Louvie

Madame C. und ich starten gemeinsam in einen weiteren Tag auf der Haute Route.

Grand Combin an Lac de Louvie

Beim Aufstieg zum Col de Louvie (2920 Hm) bekomme ich nochmal alles zusammen vor die Linse: Grand Combin mit seinen Vasallen, Cabane und Lac de Louvie.

In echt ist das viel atemberaubender.

Laut Beschreibung geht es durch ‚ruppiges‘ Blockgelände.

Wir kennen in den italienischen Alpen weitaus Ruppigeres.

Die Rosablanche (3336 Hm) mit seinem bereits stark reduzierten Gletscher begleitet uns lange durch eine Art Mondlandschaft.

Noch 1980 war die Gletscherfläche doppelt so groß!

Die rauhe Hochgebirgsszenerie erstreckt sich bis zum Horizont.

Doch auch hier setzen sich Einzelkämpfer manchmal durch.

Ähnlichkeiten: Gletscherschlamm bildet eigene ‚Flusslandschaften‘ im Kleinen …

… wie im Großen.

Kurz vor dem Col de Prafleuri (2950 Hm) überrascht uns eine Dreiseenlandschaft mit unterschiedlicher Färbung.

Die Cabane Prafleuri (2657 Hm) erreichen wir am Nachmittag.

Wir werden in der alten Hütte einquartiert, die ruhiger und geräumiger ist und die Patina und den Geruch (alte Wolldecken) der 50er Jahre hat.

Im ’neuen‘ Gebäude sind die Sanitäranlagen  unglücklich konzipiert: 2 Toiletten, 2 Pissoirs und 2 Waschbecken und das alles in einem kleinen Raum für ca. 80 Übernachtende (m/w/d).

Die Hütte steht inmitten eines ehemaligen Abbaugebietes für Steine, die zu Kies für den Staudamm des Lac des Dix verarbeitet wurden. Mit 18! km langen Seilbahnen wurde das Material zur Baustelle im Nachbartal transportiert. Für die 50er Jahre war es und auch heute noch wäre es ein gigantisches Projekt.

Tag 61 – Cabane de Louvie – Cabane Prafleuri – 10,5 km – /1091 Hm – \666 Hm


Tag 62 – Mittwoch, 23. August:

Kurz vor dem Col de Roux (2800 Hm) erwische ich die neue und alte Cabane Prafleuri in der Morgensonne.

Der StauLac des Dix liegt vor uns. An ihm müssen wir heute entlang.

Doch vorher passieren wir noch die schöne Cabane de la Barmaz.

Sie entpuppt sich als komfortable Selbstversorgerhütte.

Wir hätten sie gestern Abend noch erreichen können und so einen angenehmeren Abend mit besserer Aussicht gehabt. Schade.

Nach dem etwas mühseligen Marsch entlang des Sees geht es wemauchseidank wieder aufwärts hinein in die nächste Eislandschaft, den Cheilongletscher.

Auf der Seitenmoräne entlang nähern wir uns langsam dem Mont Blanc de Cheilon (3809 Hm).

Es ist eine unwirklich wirkende Näherung in strenger Hochgebirgsumgebung.

Und auch hier wieder die kleinen bunten Kämpfer, die langfristig auch diese Gegend bevölkern werden.

Die Cabane des Dix ist traumhaft gegenüber dem Mont Blanc de Cheilon platziert.

Bis vor einigen Jahrzehnten gab es hier noch eine Eiswand, an der sich ExtremEiskletternde ein Stelldichein gaben und die Cabane des Dix als ‚Basislager‘ nutzten. Davon ist nichts mehr übrig.

Der Restgletscher hat für mich immer noch beeindruckende Ausmaße.

Die Hütte punktet heute mit einem lockeren Team, für schweizer Verhältnisse gutem Essen, einer Außendusche, einem futuristischen Aussichtszelt und vielen Musikinstrumenten, die auch von den Besuchern benutzt werden.

So kommen am Abend in den Genuss, Klaviermusik live auf 2928 Hm hören zu dürfen.

Diese Aussicht am Abend auf eine in die Nacht verschwindende Steinwelt hat mich still werden lassen.

Tag 62 – Cabane Prafleuri – Cabane des Dix – 11,3 km – /883 Hm – \621 Hm


Tag 63 – Donnerstag, 24. August:

Wir ziehen weiter …

… und begrüßen die Morgensonne.

Beim Aufstieg zum Col de Riedmatten noch ein Rückblick auf die Nordwand des Mont Blanc de Cheilon.

Rechts daneben die im Vergleich winzig kleine und schon etwas besondere Cabane des Dix.

Puuh! Geschafft! Die letzten Meter bis zum Col de Riedmatten (2919 Hm) hatten es in sich.

Der Anstieg ist steil und mit Ketten gesichert. Dabei kommt Madame C. für einen kurzen Moment ins Schnaufen.

Daher macht sich bei uns Erstaunen breit, als eine MTBerin, ihr Rad tragend, von der anderen Seite zum Col de Riedmatten hochkommt, – nur um es wiederum an dem mit Ketten gesicherten steilen Abstieg wieder herunter zu tragen.

Sie wird es danach noch lange tragen müssen, bis sie das Rad wieder dem  eigentlichen Zweck zuführen kann. Ihr Motto: „Wer in den Bergen radfahren will, weiß, dass es oft getragen werden muss.“

Kaum haben wir einen Teil des Abstiegs hinter uns, kommt der nächste Gletscher um die Ecke, – am Fuß der Pigne d’Arolla (3760 Hm).

Noch weiter unten empfängt uns historisches Kontrastprogramm.

Im Grand Hotel ‚Kurhaus‘ nahe bei Arolla rasten wir bei einem ‚Softgetränk‘. Nicht ganz stilecht, tut aber dennoch gut. Welch krasser Unterschied zu dem Erlebten der letzten Tage.

Krass ist auch der Temperaturunterschied zwischen Berg und Tal, – so krass, dass wir beschließen, die letzten Talwanderkilometer durch eine Busfahrt zum Campingplatz im Molignon zu ersetzen.

Wir sind auf dem Boden der Campingrealität angekommen.

MitbürgerInnen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und der Schweiz bevölkern den Platz. Die einzigen Deutschen sind mal wieder wir.

Tag 63 – Cabane des Dix – Arolla – 7,3 km – /141 Hm – \1050 Hm
Tag 63 – Busfahrt Arolla – Molignon


Tag 64 – Freitag, 25. August:

Heute steht ein Anstieg von ca. 1584 Hm auf dem Programm. Entsprechend früh packen wir Zelt, etc. zusammen und machen uns auf.

Zunächst geht es durch mehrere kleine Dörfer, die recht steil am Hang liegen. Wir treffen auf alte Bauernhäuser walliser Bauart, die wir schon aus anderen Regionen der Alpen kennen.

Hier kommt diese Bauart ursprünglich her und wurde von ca. 1000 Jahren zum Exportschlager, inkl. der Menschen, die ‚Walser‘ genannt werden.

Ob die Walliser auch die Palette zur Abstützung ihrer Gebäude erfunden haben, entzieht sich meiner Kenntnis.

Wir steigen und steigen und das Wetter ändert sich allmählich, so wie es angekündigt ist.

Ab dem Col de Torrent (2912 Hm) wird das Wetter wieder etwas weniger bedrohlich.

Genau wie diese Mitlebewesen genießen wir den Ausblick auf den Lac de Moiry, einem weiteren Stausee, der der Stromerzeugung dient.

Er wird vom Gletscher gespeist, der unterhalb des Grand Cornier (3969 Hm) noch teilweise existiert. In ca. 50 Jahren rechnet man nur noch mit der Hälfte der Wassermenge und entsprechend weniger erzeugtem Strom. Ein Problem, das alle Wasserkraftwerke haben werden, die von Gletscher- und Schneeschmelzwasser abhängen …

Nach einer Pause am Gite de Lac Moiry wird uns klar, dass wir die morgige Tour von hier aus nur mit Regen und Gewitter auf ca. 2800 Hm erleben werden. Das möchten wir nicht. Wir ändern unseren Plan und wollen eine andere, niedrigere Variante laufen.

Dafür müssen wir hinunter nach Grimentz, einem hochgelobten altschweizerischen Dorf. Da es schon relativ spät am Nachmittag ist und wir noch keine Unterkunft haben, ersparen wir uns den dreistündigen Abstieg durch Wald und Wiesen durch das Postauto, das uns in 30 Minuten hinunter kutschiert.

In Grimentz angekommen sind wir zunächst tief enttäuscht. Es entpuppt sich als Massenskiort mit schönem, aber kleinem Ortskern. Ansonsten sehen wir insgesamt 8 Baukräne, die weitere große Massenappartmenthäuser in die Hänge stampfen.

Ich erkenne hier keine Spur von langfristigem Denken und Handeln, zumal der für Skitourismus notwendige Schnee immer weniger werden wird.

Das uns zuträgliche Glück im Unglück beschert uns am Waldrand weitab von Baukränen, Seilbahnen und Appartmentsiedlungen einen ‚Campingplatz‘ zum Selbstbuchen per Kreditkarte, ausgestattet mit gutem Sanitärcontainer und geschlossenem Kiosk.

Regen ist für die Nacht angesagt. Die Person, die die Bezahlung stichprobenartig überwacht, ermöglicht uns, in einem kleinen Pavillon zu übernachten.

So brauchen wir unser Zelt nicht aufzubauen und es bleibt trocken. Merci bien!

Tag 64 – Molignon – Lac de Moiry – 14,4 km – /1606 Hm – \758 Hm
Tag 64 – Busfahrt Lac de Moiry – Grimentz


Tag 65 – Samstag, 26. August:

Wir haben gut geschlafen im Pavillion auf dem Campingplatz Ilôt Bosquet.

Heute suchen wir nur noch eine trockene Unterkunft für die nächsten Tage.

Die Wettervorhersage prophezeit für die nächsten zwei Tage heftige Regengüsse, evtl. sogar mit Stein- und Schlammabgängen in höheren Lagen.

Unser eigentlich geplanter Wanderweg nach Zinal ist gesperrt. Wir finden eine Alternative auf geschotterter Piste. Von dieser erhaschen wir einen Blick auf den klitzekleinen Ortskern von Grimentz, der so schön sein soll, dass er alle Bausünden der Umgebung verzeiht.

Mal wieder erreichen wir kurz vor dem großen Regen unser freundliches Quartier.

Wir sind die einzigen Gäste. Alle anderen haben wegen des kommenden Regens abgesagt.

Nach einigen Online-Recherchen wird uns klar, dass nicht nur der Regen uns hier mindestens zwei Tage binden wird. Denn ab einer Höhe von 2500 Hm ist mit Schneefall zu rechnen, der aufgrund kommender niedriger Temperaturen erstmal liegen bleiben wird. Unsere Übergänge, die meist über 2800 Hm liegen, werden somit mehrere Tage unter einer weißen Schneedecke begraben sein. Wir sitzen fest und kommen nicht weiter auf der Haute Route durchs Wallis. Was tun?

Love it, Change it or Leave it!
Die ersten beiden Optionen wollen oder können wir nicht. Also: Leave it!

Wir beenden also hier in Zinal unsere diesjährige Alpenwanderung – und zücken kurzerhand unser zweites Vorhaben aus der Tasche: Eine Bergwanderung durch die Verwunschenen Berge im Norden Albaniens.

Für den Sonntag planen und organisieren wir unsere Abreise aus Zinal nach Domodossola im Piemont.

Der Rest des Tages geht für Einkaufen, Kochen, Waschen und Schlafen drauf. Die Wolken hängen tief und entladen sich manchmal.

Gut, dass wir dieses Wetter und NichtsTunKönnen nicht mehrere Tage durchhalten müssen.

Tag 65 – Grimentz – Zinal – 9 km – /364 Hm – \290 Hm


Tag 66 – Sonntag, 27. August:

Das wolkenverhangene Tal macht uns den Abschied leicht.

Ein Postbus bringt uns nach Siders, das in einem schweizerischen Weinanbaugebiet im Wallis liegt. Ab hier bringt uns die Bahn in kurzer Zeit durch den Simplontunnel nach Domodossola. Wir wechseln vom Französischen ins Italienische.

Noch regnet es hier nicht. Wir erreichen unsere zentral gelegene Unterkunft ‚Ca Bussun‘, die außen schraddelig …

… und innen echt schick ist, mal wieder kurz vor dem ersten heftigen Regen.

Der Ausblick vom Balkon zeigt italienische AltstadtPatina …

… und regnerische Abendstimmung.

Tag 66 – Bus und Bahn von Zinal nach Domodossola


Tag 67 – Montag, 28. August:

Bei heftigstem Dauerregen – die Straßen von Domodossola stehen unter Wasser – organisieren wir in der trockenen und angenehmen Unterkunft unsere Reise nach Albanien.

Den notwendigen Einkauf von Reiseproviant gestalten wir als Test für unsere Regenkleidung: Halbwegs bestanden.

Schon am Abend hört der Regen auf. Wir flanieren durch die wunderschöne, historische Altstadt von Domodossola

… und trinken in einer UreinwohnerBar ein Glas Arneis.

Wir stellen fest, dass Domodossola ein toller Ausgangsort für die Entdeckung des nördlichen Piemonts mit seinen schönen Seitentälern ist, – und, dass man mit der Bahn in nur 8 Stunden von Kassel hier sein kann. Gemerkt.

Jetzt kann es losgehen: Auf zu neuen Erlebnissen in den Verwunschenen Bergen von Albanien.

– La vera libertà sta nella vagabondage. –

2 Kommentare

  1. 31. August 2023
    Antworten

    Wieder ein toller Bericht. Ich wünsche euch trockene Tage ohne Brände in Albanien und freue mich auf die Berichte zur Fortsetzung dieser Tour im kommenden Jahr 😀..

    • 31. August 2023
      Antworten

      Hallo Jörg, danke für die ‚Blumen‘.
      Ja, nächstes Jahr geht es weiter durch die Alpen in Richtung Westen.
      Ich hoffe, unser zweiter Anlauf für die Peaks of Balkan verläuft besser als der erste.
      Vielleicht können wir mal ein Treffen mit euch im Herbst ins Auge fassen?

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