Tag 23 – Samstag, 15. Juli:
In der Capanna Adula ist es so gemütlich, dass Lady C. eigentlich hier bleiben will.
Doch die Aussicht ins Val di Blenio ist schon etwas besser als gestern Abend.
Die Arbeit ruft und wir beginnen den langen Abstieg nach Olivone.
Dieser führt uns an Steilwänden vorbei, in denen sich Nadelbäume festgesetzt haben wie eigentlich nur Steinböcke oder Gemsen dies können.
Weiter unten zeigt die Natur, was sie mit Wasserkraft bewirken kann.
Diese Stein-Schlamm-Lawine ist das Ergebnis des nächtlichen Starkregens der letzten Woche. Die darüber liegenden Siedlungen sind bis auf weiteres nicht mehr mit Automobilen oder Quads erreichbar.
Am Fluss Riasc ist in den letzten zwei Jahrzehnten der Wanderweg immer wieder komplett weggerissen worden. Jetzt hat man als Lösung eine ‚tibetische‘ Hängebrücke, natürlich in schweizerischer Qualität, installiert.
In Olivone angekommen werden wir geschäftig. Wir kaufen Lebensmittel für die nächsten fünf Tage ein. Im Sportgeschäft werden unsere Stöcke kompetent repariert. Wir holen CHF aus dem Geldautomaten. Und wir bekommen sogar eine Gaskartusche.
Die Sprachenvielfalt nimmt zu und reicht vom italienischen über örtliche Dialekte bis zum schwyzerdütschen. Dazu kommt noch die Touristensprache englisch. Wir sind etwas verwirrt, beginnen ein Gespräch in italienisch, wechseln fließend auf englisch bis wir merken, dass unser Gegenüber auch deutsch versteht, aber im für uns unverständliche schwyzerdütsch antwortet.
Schon um 16 Uhr erreichen wir unsere Unterkunft, das Relais Lukomagno.
Es wartet mit einem komfortablem Zimmer, das mich an meinen luxuriösen Hotelaufenthalt in Andorra in den Pyrenäen erinnert. Das tollste ist, dass wir unsere gesamte Wäsche gewaschen bekommen, – gebührenfrei. Dafür gibt es ein großzügiges Trinkgeld für die Hauswirtschaftsdame.
Tag 23 – Capanna Adula – Olivone – 11,9 km – /392 Hm – \1487 Hm
Tag 24 – Sonntag, 16. Juli:
Das Relais Lukomagno bleibt in guter Erinnerung. Über die alte Verbindungsstraße (Strada Vecchia del Sosto), die jetzt Wandernden und MTBrn vorbehalten ist, geht es entlang der Schlucht ‚Gola del Sosto‘ von Olivone nach Campo Blenio am Ende des Val Blenio.
Die Pflasterung der alten Straße beeindruckt mich. Ich bekomme immer mehr Respekt und Wertschätzung für die Arbeiten unserer Vorgänger auf dieser Erde.
Ab Campo beginnt heute der eigentliche Aufstieg. Doch zuvor gibt es noch ein zweites Frühstück, diesmal an Tischkreissäge.
Die Bauart der Häuser und Scheunen verändert sich von Naturstein- zum Holzbau.
Schon um 14 Uhr erreichen wir die Capanna Bovarina. Diese Berghütte kenne ich schon aus einem Aufenthalt in vergangenen Zeiten.
Die bunte Bettwäsche in den Massenlagern scheint noch die gleiche zu sein wie damals. Sie wird wohl seitdem mehrmals gewaschen worden sein.
Zum Nachtessen sitzen wir mit einer Familie aus Winterthur an einem Tisch. Mit drei erwachsenen Kindern machen sie eine mehrtägige Tour durch die Greina im Grenzgebiet zwischen Tessin und Graubünden. Wir lernen etwas mehr schwyzerdütsch zu verstehen.
Tag 24 – Olivone – Capanna Bovarina – 10,7 km – /1216 Hm – \286 Hm
Tag 25 – Montag, 17.7.:
Die Capanna Bovarina verbreitet eine so gute Stimmung, dass es uns schwerfällt sie so früh zu verlassen.
Doch liegt heute ein langer Weg vor uns und wir brechen halbwegs früh auf.
Der Weg führt uns zunächst mal durch die Gana Negra, eine Landschaft mit graphitschwarzen, fast weichen Felsbrocken.
Eigentlich völlig unpassend für diese Gegend hier, in der Gneis und Granit vorherrschen.
Nach einem zwar langen, aber moderaten Abstieg kommen wir zum Lukmanierpass. Er verbindet das Val di Blenio im Tessin mit Disentis in Graubünden.
Obwohl nicht zu voll, nerven schon die wenigen Motorrad- und Autofahrenden. Gut, dass wir diese Übernachtung hier überspringen. Der Lukmanierstausee ist einer der wenigen Lichtblicke hier.
Beim Aufstieg ins Medelhochtal dürfen wir mal wieder eine kleine Hängebrücke überqueren.
Badegumpen laden zum Verweilen ein. Leider haben wir auf der Cadlimohütte um 18 Uhr fürs Nachtessen zugesagt.
Drum machen wir uns auf, um das ca. 9 km lange wunderbare Tal zu durchqueren.
Dabei passieren wir die Heimstatt eines tibetbuddhistischen Einsiedlers.
Der Weg zieht sich.
Noch ein See …
… und wir haben unser Ziel, die Cadlimohütte vor Augen.
Nach dem Nachtessen kommt die Attraktion der Hütte zu seinem abendlichen Besuch. Ein alter Steinbock.
Angelockt durch etwas Salz auf einem Felsen, erscheint er regelmäßig zum Fotoshooting.
Ansonsten ist die Abendstimmung an der Hütte schon eher hochgebirgig: In Stille die Berge schauen und genauso still gehen wir ins Bett.
Tag 25 – Capanna Bovarina – Capanna Cadlimo – 18,1 km – /1340 Hm – \641 Hm
Tag 26 – Dienstag, 18.7.:
Ich habe mir einen (Männer)Schnupfen eingefangen, der mich stört und etwas schwächt.
Um 7:30 Uhr verlassen wir die wohlgeordnete Hütte in Superlage und steigen erstmal ca. 1000 Hm, teilweise kraxelig durch Felslandschaft ab.
Wie in den Bergen üblich, geht es danach wieder aufwärts, worüber Lady C. sich immer wieder wundert. Jetzt aber auf moderaten Alpwegen. Ein Rückblick auf unsere Herkunft wird möglich.
Obwohl die WetterApp keinen Regen vorhersagte, erleben wir in einem Alpunterstand Gewitter, Hagel und Regen.
Innerhalb einer halben Stunde ist alles vorbei. Doch die Luft bleibt feucht. Diese Feuchte begleitet uns ständig in den letzten Tagen. Nichts ist wirklich trocken. Alle Klamotten sind klamm.
Wir nähern uns dem Gotthardpass. Von oben erscheint die Passstraße wie eine Carrerabahn mit Steilkurve.
In einer Gruppenunterkunft für ‚Säumerinnen und Säumer‘ des Albergo San Gottardo finden wir Unterschlupf.
Wenn ich daran denke, dass Johann Gottfried Seume im Jahr 1802 auch am Gotthardpass Halt gemacht hat und den bekannten Satz mit der „Alpenwanderung“ geprägt hat, …
„Es müsste das größte Vergnügen sein, einige Jahre nacheinander Alpenwanderungen machen zu können.“
(Johann Gottfried Seume, Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802)
… dann freue ich mich darüber, dass auch wir jetzt hier Obhut finden. Nachsatz: Das heutige Albergo wurde erst nach 1802 gebaut. Wo und wie Herr Seume am Gotthard übernachtet hat, ist mir nicht bekannt. Die Geschichte des Gotthardpasses und des Gotthard-Hospizes finde ich dennoch sehr interessant.
Morgen geht es mit unserer Alpenwanderung weiter.
Tag 26 – Capanna Cadlimo – Ospizio San Gottardo – 17,6 km – /894 Hm – \1377 Hm
Tag 27 – Mittwoch, 19. Juli:
Die Wetterverhältnisse ändern sich schneller als die OnlinePrognosen hinterherkommen. Gestern Abend gingen wir davon aus, unsere Tour bedeckt aber trocken laufen zu können. Weit gefehlt.
Bei einem opulenten Frühstück sehen wir draußen Dauerregen und Nebel.
Eigentlich wollten wir heute über die Strada Alta Gottardo gehen und kurz unterhalb des Passo Lucendro zelten. Das wird uns zu ungemütlich.
Spontan suchen wir eine Alternative. Die fährt in zwanzig Minuten in Form eines Postbusses nach Hospental, wo wir uns in die Bahn nach Realp schwingen. Das ganze kostet uns nur 20 Minuten.
Dafür laufen wir ab Realp bei Sonnenschein unserem Ziel auf einer weniger exponierten Strecke entgegen. Prima gemacht.
Auf über 2200 Hm finden wir natürliche Felder solcher Blumen.
Über den sogenannten Sommerweg geht es durch steiles Blockgelände mit super gebauten Stufen und Platten zum Tälligrat.
Wir erblicken den Witenwasserengletscher bzw. was der Klimawandel davon übrig gelassen hat.
Unser Ziel, die Rotondohütte, vor Augen steigen wir durch gebändigtes Blockwerk hinab.
Pia, die Hüttenwartin begrüßt uns herzlich. Wir kennen uns bereits gut vom Februar diesen Jahres. Einen Monat lang habe ich als Hüttenhilfe hier viel gelernt, gearbeitet und hatte richtig Spaß dabei.
Lady C. und ich genießen einen Hüttenabend auf der Gastseite. So in der Gastrolle kenne ich das Hüttenleben auf der Rotondohütte noch gar nicht. Ist mal eine andere Perspektive.
In der Küche bei einer ‚Alten Birne‘ lerne ich die Sommerhüttenhilfen Christine und Souila kurz kennen. Dabei kommt Vorfreude auf meinen nächsten Februar auf dieser Hütte auf.
Tag 27 – Realp – Rotondohütte – 11,2 km – /1215 Hm – \185 Hm
Tag 28 – Donnerstag, 20. Juli:
Der Abschied von der Rotondohütte fällt mir etwas schwer, insbesondere weil ich jetzt auch die herbe Sommeratmosphäre der Hüttenumgebung kennengelernt habe.
Der Weg zum Passo di Cavanna führt uns unterhalb des Hüenerstocks entlang. Ein kleiner See liegt idyllisch am Wegesrand.
Dieser Weg ist 2017 und den Folgejahren von kräftigen, freiwilligen, ehrenamtlichen Wegebauern gebaut worden.
Eine Meisterleistung, finde ich. Hoffentlich hält der Weg sich lange in dieser rauhen und sich ständig verändernden Umgebung.
Zum Abschluss noch ein Panorama des hochgebirgigen WitenwasserenTalabschlusses mit Hüttensuchaufgabe.
Nördlich, hinter der Rotondohütte, dem Tälligrat und dem Furkapass, erstrecken sich die Urner Berge mit dem Dammstock als höchste Erhebung. Bestimmt auch eine erkundungswerte Region.
Alte Militärwege führen uns letztendlich und luftig zum Passo di Cavanna.
Auf der anderen Seite – wir sind wieder im Tessin – begrüßt uns in der Ferne der Gletscher des Basodino an der schweizerisch-italienischen Grenze.
Insekt an Arnika auf über 2200 Hm.
Der Blick hinein ins Tessin berauscht.
Heute bleibt es trocken. Wir entscheiden uns fürs Zelten und finden einen richtig guten Platz auf einer trockenen Ebene, Piansecco oberhalb von All’Acqua im Bedretto-Tal, auf ca. 2000 Hm.
Jetzt heißt es abwarten bis zur Dämmerung.
Nach dem Essen (Nudeln, Tomatenkonzentrat, Schafskäse, Gewürze) ist das Zelt schnell aufgebaut und die Nacht eingeläutet.
Ab morgen werden wir wieder in Italien sein, auf uns bereits bekannten Wegen.
Tag 28 – Rotondohütte – Piansecco – 13,8 km – /690 Hm – \1328 Hm
Hallo Klaus,
Deine Beiträge mit den beeindruckenden Fotos verfolge ich sehr gerne.
Die Pflanze nach der du gefragt hast, bestimme ich als: Purpur-Enzian, Gentiana purpurea.
Gute Wege und trockenes Wetter wünsche ich Euch.
LG Birgit
Salu Birgit,
danke für die ‚Blumen‘ und die Bestimmung der Pflanze. Wenn ich wieder was nicht bestimmen kann, frage ich hier wieder. Macht Freude.
Bei der Pflanze handelt es sich um den Purpur-Enzian!
https://de.wikipedia.org/wiki/Purpur-Enzian
Vielen Dank Volker,
schön von dir zu lesen. Und danke für den Thymian-Sammel-Tipp! Klappt!